Neulich kaufte ich in einem russischen Laden aus Neugier ein Stück Speck. Der war nicht geräuchert, sondern irgendwie sauer gepökelt oder gekocht oder eingelegt. Mit weicher, essbarer Schwarte dünn aufgeschnitten gab’s ein leckeres Abendessen. Aber irgendwas fehlte. Zum Beispiel saure Gurken, Schwarzbrot und Wodka.
Das lernte ich, als ich mal in Neukölln erfolgreich am Gentrifizierungsprozess teilnahm. Dieser Prozess beginnt, wenn abgeranzte Straßenzüge interessant gefeiert werden. Sozusagen trockengesoffen, so wie früher arme Familien Neubauten trockenwohnen mussten. Damals kannte man Hausbesitzer noch, aber durfte nichts gegen sie unternehmen. Heute dürfen Mieter nicht nur für Rechte eintreten, sie haben sogar welche. Gegen Gentrifizierung hilft das aber nichts, denn die beginnt mit preisgünstigem Alkohol und endet mit anonymen Investoren. Beim Alkohol können alle erst mal mitmachen.
In einer damals ziemlich dusteren Seitenstraße war eine Bar in einem leeren Ladenlokal mit ein paar zusammengeklaubten Möbeln. Da verkaufte ein kleines, zartes Mädchen harte Getränke. Sie stammte aus einer ehemaligen Sowjetrepublik und hatte Ahnung von Wodka. Es gab unbekannte Sorten mit kyrillischen Etiketten. Jede schmeckte ausgezeichnet. Das beste aber: zum Klaren kamen winzige Würfel Speck, Gurke und Schwarzbrot. Der Laden brummte, alle hatten Spaß und niemand trug Verantwortung.
Inzwischen brummt wohl die ganze Straße im Dauer-Karneval. Da will ich nicht mehr hin. Aber Brot und Gurken hätte ich gerne gehabt zum Speck. Hatte aber nur warmen Russian Standard. Eigentlich ein guter Wodka, aber so allein schmeckte der grauenvoll. Sollte eigentlich ein Tropfen Vermuth rein. Unbefriedigt kamen mir revolutionäre Gedanken, ich wollte ein Martini-Idol vom Sockel stoßen.
Seit Daniel Craig ist es bekanntlich egal, ob der Martini aus Shaker oder Rührglas kommt. Sean Connery als James Bond bestellte seinen mal folgendermaßen: „trocken, nicht verrührt“. Man könnte auch sagen: Ein Glas Sprit für einen kriegstraumatisierten Starkstrom-Alkoholiker, mit Vermuth als Cocktail getarnt. Schnell verwandelt sich ein charismatischer Connery in einen verblödeten Sterling Archer. Aber der Martini ist korrekt beschrieben: Leicht gewürzten Klaren einmal über Eis ziehen und auf ne Olive oder Zitronenzeste gießen, fertig.
Zum Martini brachte ich es nicht mehr. Hab den warmen Schnaps geschluckt, so schlimm war das nicht. Aber Gurken und Schwarzbrot wären’s echt gewesen…
AW, gewidmet Brian Griffin, dem bedeutendsten Martini-Säufer der jüngeren Fernsehgeschichte.