Sticke Uerige Altbier – Karma auf Rheinländisch

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Karma als moralisches Konzept ist für Christen schwer nachzuvollziehen, denn es handelt sich nicht um Belohnung oder Strafe und es bezieht sich nicht auf dieses Leben und nicht auf diese Persönlichkeit. Denn nur die nackte, egoistische Lebensgier wird wiedergeboren, und das ist keine Chance sondern bemitleidenswertes Schicksal, welches ein Mensch durch Verbesserung seines Karmas lediglich abmildern kann. Aber wir können uns ein nächstes Leben ohne unsere Persönlichkeit nicht vorstellen, halten es ferner nicht für erstrebenswert, unsere unsterbliche Seele in einem Nirwana aufzulösen und wir hängen sehr an diesem einen Leben. Weil aber Karma hübsch modisch klingt, wird der Begriff gerne unseren kulturellen Gepflogenheiten angepaßt. Für Rheinländer klingt das dann in etwa so: Verschenke uneigennützig aus gustatorischem Interesse zwei Flaschen Bier an einen anderen Blogger, zum Beispiel Tom aus Krefeld von proBierchen. Dann wirst du völlig unerwartet drei Flaschen zurückbekommen. Wenn du aber ein dünkelhafter Rheinländer bist, aufgewachsen an der Kölsch-Alt-Grenze und seit der Pubertät mit Kölsch und abfälligen Vorurteilen gegen Altbier gefüttert, dann wird in dieser himmlischen Sendung gewiß ein Altbier dabei sein. Und es wird göttlich schmecken und du wirst nicht umhinkönnen, es zu preisen.
Das Sticke Uerige aus der Düsseldorfer Altstadt ist nämlich total leckeres, bemerkenswert individuelles Gebräu. Normalerweise unterscheiden sich Kölsch und Alt praktisch gar nicht, sind das selbe in braun beziehungsweise gelb. Eine dünne Plörre mit wenig Kohlensäure und noch weniger Geschmack, Schaum gibt es nur, wenn das Partyfässchen mal wieder von Betrunkenen transportiert wurde. Wenn’s aber mal läuft, eignet es sich gut um Minderjährige an Alkohol zu gewöhnen und ist  auch für verkaterte Erwachsene schon am Vormittag zum Mettbrötchenfrühstück empfehlenswert bekömmlich. Das Sticke Uerige nun ist das Gegenteil von dünnem Wasser. Die sechs Prozent Alkohol schmeckt man nicht direkt, sie geben dem Aroma aber Volumen. Da breitet sich eine würzige, pfeffrige Schärfe aus. Durch das Etikett beeinflusst vermute ich hinter diesem Geschmack den Röst- und Karamellmalz. Wie von deutschem Qualitätsbier gewohnt sind für den Laien keine charakteristischen Einzelgeschmäcker zu unterscheiden, nur ein runder, voller Geschmack. Es gibt keine Süße und auch keine Raucharomen, obwohl die Kernigkeit an der Zungespitze beides erwarten ließe. Die Würzigkeit entspricht eher einem gelungenen Schinken, der ja auch nach gutem Schinken und nicht nach Rauch schmecken soll. Wenn ich es mit einem Bier vergleichen soll, dann schmeckt es am ehesten wie ein IPA ohne Aromahopfen, nur mit vollmundiger Basis und geschmacksneutraler Bitterkeit. Der Abgang ist dann wieder typisch rheinisch süffig. Das ganze Vergnügen kommt dazu in einer hübschen Bügelflasche mit ungewöhnlich schlankem Hals und erfreut schon vor dem Eingießen das Auge. Die englische Aufschrift „German Lager“ verrät, daß es für den Export hergestellt wurde. Vielleicht, neben meiner kölschtrunkenen Borniertheit, ein Grund, warum ich bisher noch nichts von der Existenz des Sticke wußte. Aber zum Glück bin ich nun um ein tolles Getränk klüger, dank tatkräftiger Unterstützung vom Niederrhein.

14 Gedanken zu “Sticke Uerige Altbier – Karma auf Rheinländisch

    • In einem Blindtest fallen überraschend viele durch bei dieser Unterscheidung. 🙂 Aber Blindtests sind eh vom Teufel erfunden worden, um uns dünkelbehaftete Snobtrinker zu quälen und zu trietzen, wie ich sehr schmerzlich im Dezember bei einem Rum-Adventskalender in Blindtestform erfahren musste. Bei Bier ist das garantiert nicht anders.

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      • Der Geschmack wird wohl vom Gesichtssinn dominiert. Deshalb wirkt ja Zuckercoluer so prächtig. Der objektive Blindtest ist immernoch, auf ner Party schauen, welches Getränk am schnellsten verschwindet.

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      • Es ist nicht nur der rein optische Eindruck – nein, es ist dieser hässliche Effekt, dass der eigene „Lieblingsrum“ plötzlich an 7. Stelle landet, dass ein handwerkliches Spitzenprodukt hinter einem schwerst manipulierten Laborprodukt endet oder ein Mixto-Tequila, über den alle schimpfen, diverse 100%-Agave-Tequilas hinter sich lässt. Da möchte man an der Welt verzweifeln.

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      • Zur situationsbezogenen Subjektivität unseres sensorischen Apparates verweise ich auf einen meiner älteren Artikel:
        https://meinedrogenpolitik.wordpress.com/2015/06/11/set-und-setting-mit-irischen-bieren/
        Und neulich hab ich, mangels kalten Abendbiers, die Probe Gusano Rojo meiner Fuselbehandlung, bestehend aus Sirup, Limette und Eis unterzogen. Das war lecker und interessant. Trotzdem können wir nicht behaupten, Psychologie sei wichtiger als Qualität. Angeblich hat Henry Ford das Paradoxon mal treffend formuliert: 50% des Werbeetats sind Verschwendung. Man weiß nur leider nicht, welche Hälfte.

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  1. als wir 15, 16 waren sind wir stets in einer horde ins uerige eingefallen und warteten immer nur darauf, von einem der köbesse einen spruch reingewürgt zu kriegen, wofür das uerige berühmt war, wenn man etwa nicht schnell genug bestellte, kriegte man direkt einen auf den deckel: „wenne dich hier nur ausruhen willst, bringste demnächst ding koppkissen mit.“ das bier war auch gut.

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  2. Meineeine ist AUF der Kölschgrenze aufgewachsen, in einer Stadt, deren Brauerei Alt UND Kölsch braute. Pils außerdem noch …
    Keines der Biere war wirklich gut, das Pils hatte sogar einen außerordentlich üblen Ruf.
    In den Kneipen wurden jedoch auch Düsseldorfer und Kölner Biere ausgeschenkt und man konnte bestellen, was immer man wollte, ohne scheel angeschaut zu werden, oder aus der Kneipe zu fliegen.
    Ich mag beide Sorten, habe mich aber letztlich auf Pils eingeschossen – Hauptsache es kommt anderswo her.

    P.S.: Das mit dem Karma hatte ich mir irgendwie romantischer vorgestellt.

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  3. Pingback: Arabier – eine edler Vogel aus Flandern | meinedrogenpolitik

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