Heimbrauen – Drogenkochen im Entsafter

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Schon vor Urzeiten ist ein verderblicher Drogenkult aus Babylonien und Ägypten zu uns nach Nordeuropa herübergeschwappt. Vergorener Gerstensud wird als sogenanntes Bier zu Rauschzwecken getrunken. Dabei ist die Droge wirkstoffarm und durch und durch minderwertig. Ursprünglich tranken die bittere Getreidebrühe nur solche Menschen, denen die Willenskraft fehlte, in einem Land mit gutem Wein geboren zu werden und die gleichzeitig charakterlich zu schwach waren, um sich mit richtigem Alkohol zu berauschen. Inzwischen hat Bier die gesamte Menschheit infiziert. Die Getränkeindustrie hat die Gesellschaft fest im Griff, Gesetze gegen das Rauschgift wird es nicht geben.

Wenigstens hat man sich darauf geeinigt, flächendeckend nur wässriges, aromafreies Bier unter die Leute zu bringen, um ihnen mit Langeweile auf lange Sicht den Geschmack daran zu verderben. Und tatsächlich ging der Bierkonsum allenthalben zurück. Das wird jedoch hinterhältig unterlaufen, weil sich, unbeachtet von der breiteren Öffentlichkeit, einige finstere Verschwörer zusammengetan haben, um die Menschheit mit wohlschmeckendem Selbstgebrautem wieder in den Bierwahnsinn zu treiben.

Die drogenpolitik konnte nun exklusiv ein paar Drogenköche beobachten, die völlig ungeniert in der Nachbarschaft Bier selber machen.

Es ist nämlich erschreckend einfach, Bier herzustellen

Grundstoff ist Getreide, mit Vorliebe spelzenreiche Gerste. Der Alkoholkoch will an den Zucker in der Pflanze. Dazu läßt er sie erst keimen und tötet die jungen Sämlinge sofort wieder. Brutal langsam mit trockener Wärme entzieht er den Körnern allen Lebenssaft. So entsteht das sogenannte Malz. Aus diesem wird dann Zucker herausgekocht. Eigentlich enthält Getreide nicht viel Zucker, sondern Stärke, das sind zu langen Ketten gebundene Zuckermoleküle. Nun besitzen die Keimlinge Verdauungsenzyme, welche die Stärkeketten zu kurzen Zuckermolekülen zerschneiden können. Diese, so fanden schon die Orientalen heraus, arbeiten bei 60 bis 70 Grad Celsius am gründlichsten. In heißem Wasser also wird die Pflanzenstärke zu Zucker.

Üblicherweise verwenden private Drogenköche dazu einfachste Mittel, wie Marmeladeneinkochtöpfe. Man kann sich vorstellen, wie lange es dann dauert, bis 25 Liter Wasser auf Temperatur sind. Dann sitzen die Leute also untätig vor ihrem Einkochtopf oder Schöpfen mit dem Wasserkocher die Pötte voll. Wenn es dann die perfekte Temperatur hat, kommt geschrotetes Malz in den Kessel. Je nach Rezept etwas 5 Kilo auf 25 Liter Wasser, mal mehr, mal weniger. Ganz akribische heizen nach einer halben Stunde noch mal nach, bei 70 Grad arbeiten andere Enzyme. Die gierigen Brauer prüfen schließlich mit Jod, ob sich noch Stärke im Sud befindet. Wenn kein Farbumschlag eintritt, müssen die ausgelaugten Getreidereste von dem Zuckerwasser getrennt werden.

Läuterbottich

Als Läuterbottich eignet sich ein Plastikeimer mit doppeltem Siebboden. Da setzt sich die ausgelaugte Gerste ab und dient als Filter, geläuterte Würze fließt langsam durch den Hahn in den Einkochtopf. Damit wenig Hitze verlorengeht, hat der Brauer beide mit isolierendem Material umwickelt. Wer es sich einfach machen willen, kann aber auch auf so eine Apparatur verzichten und sein Malz in einem Filtersack auskochen. Das Ergebnis schmeckte auch gut.

In Deutschland wurde mal ein Drogengesetz erlassen

Mit dem wollte man im 16 Jahrhundert den teuren Brotweizen schützen. Stattdessen durfte nur die minderwertige Gerste zum kommerziellen Drogenkochen herangezogen werden. Die harten, unverdaulichen Schalen – der Ernährungseuphemiker spricht gern von Ballaststoffen – nun machen, daß Gerstenmalzbrei schön verklumpt. auf ein Gefäß mit Siebboden geschüttet ergibt das Pflanzenmaterial einen ordentlichen Filter. Darüber gießt man den Getreidesud ab, die sogenannte Läuterung. Das erfordert Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Wenn es gut funktioniert, werden Schwebstoffe herausgefiltert, damit das Getränk hinterher verführerisch klar glitzert. Die Kunst ist, daß es langsam genug durchläuft, aber nicht verstopft. Am Ende wird noch mal warmes Wasser darübergegossen, um allen Zucker herauszuspülen. Den Treber kann das Vieh fressen. Die geklärte Zuckerlösung heißt jetzt Würze, wahrscheinlich nennen die Bierköche das so, um ihr Treiben zu tarnen.

Hopfenhaschisch

Echte Hopfenblüten verwendet kaum noch jemand. Leicht dosierbar und platzsparend sind solche genormten Pellets aus gepresstem, bitterstoffreichem Pflanzenmaterial. Sozusagen das Hopfen-Haschisch.

Nun muss die Zuckerplörre, Pardon: Würze, aufkochen. Und zwar eine Stunde lang, zusammen mit Bitterkräutern. Theoretisch könnte man dazu nehmen, was Wald und Wiese hergibt. Es gilt jedoch das ungeschriebene Gesetz, sich hier auf die Hopfenpflanze zu verlassen.

Den Rest vom Bierkochen weiß ich nur vom Hörensagen, denn bis hierhin kann das gern mal vier Stunden dauern und ich hatte bisher noch keine Lust, mir das dann zu Ende anzusehen. Wenn’s also gekocht hat, ist es endlich Zeit für die alchemistische Alkoholumwandlung. Dazu kommen Hefen hinein, die heißen auch passenderweise Saccharomyces cerevisiae, also Bierhefe. Die Tatsache, daß der Liebe Gott diese Einzeller so getauft hat, halten die Bierkocher dann tatsächlich für einen Beweis der Rechtmäßigkeit ihres Tuns. Die Hefen mögen es aber nicht so heiß. Die kochend heiße Würze soll jetzt möglichst schnell wieder kalt werden.

Jungbier

Fertig vergorenes Jungbier kann jetzt in Flaschen abgefüllt werden, um zu reifen.

Früher machte man das in großen, offenen Bottichen

Hat die Flüssigkeit eine große Oberfläche, kann mehr Hitze schneller entfleuchen. Dazu gehörte dann ein Gebet und Vertrauen in die hauseigenen Pilzstämme, daß sich die Würze keine falschen Bakterien fängt und verdirbt. Das geht natürlich mit überhaupt keinen Hygieneverordnungen konform. Deshalb kühlt man heute möglichst schnell mit geeigneten Apparaten, etwa Gegenstromkühlern. Wer keinen hat, stellt es in verschlossener Gärflasche in einen kühlen Raum und hofft und wartet. Bei etwa 20 Grad können die obergärigen Hefen dann loslegen, möglichst in einem Keller, vor Temperaturschwankungen und mißgünstigen Blicken geschützt, blubbert es gut zwei Wochen lang vor sich hin. Was dann beim anschließende, mehrwöchigen Reifen in Flaschen passiert, will ich eigentlich gar nicht so genau wissen.

Gegenstromer

Wer es besonders ernst meint und es mit seinen MitbewohnerInnen vereinbaren kann, schafft sich Heimbraukessel an und baut sich einen Gegenstromkühler, hier ein Gartenschlauch über eine mehrere Meter lange Kupferrohrspirale gezogen. Foto: Berliner Schnauze Homebrewing

Denn die private Bierherstellung läuft allen Prinzipien von Vernunft und Aufklärung zuwider. Wir wollen schließlich eine moderne Gesellschaft sein, in der alles arbeitsteilig hergestellt wird. Niemand soll und will je die volle Kontrolle über die Alltagsdinge erlangen. Das Fundament unserer Zivilisation sind schließlich komplexe Herstellungsprozesse, die ein einzelner nicht zu überblicken hat.

Wo wird das noch hinführen? Wer heute sein eigenes Bier braut, wird morgen womöglich selbständig denken und übermorgen sein Mittagessen selber kochen!

Wheat Ale

Dieses appetitlich aussehende, komplett selbstgebastelte Bier schmeckte würzig und machte gute Laune.

Wir danken den eifrigen Aktivisten von Eumel Braeu Berlin im Himmelbeet und Berliner Schnauze Homebrewing, ohne die der Artikel nicht möglich gewesen wäre.

Wochenendausflug zur dunklen Seite mit Stechapfel

Eigentlich wollte ich hier ja keine Tripberichte, also Gedächtnisprotokolle von akuten Rauschzuständen, veröffentlichen. Nun landete in der Redaktion aber mal wieder eine ganz besondere Skurrilität, die ich dem geneigten Publikum nicht vorenthalten möchte. Und zwar die Beschreibung eines Scopolamin-Trips aus erster Hand, inklusive präziser Anleitung zum Beschaffen und Zubereiten der Droge, daß man gar nicht anders kann, als das auf gar keinen Fall zu Hause selber nachzumachen. Denn Scopolamin ist der Hauptwirkstoff unser beliebte, heimisch Hexenkräuter aus dem Nachtschattenreich, Stechapfel, Tollkirsche, Engelstrompete, Bilsenkräuter.

Die haben nun die Eigenschaft, neben dem Hervorrufen unangenehm alptraumhafter Visionen, in deren Zusammenhang die Literatur auch immer den heiteren Karikaturisten Hieronymus Bosch erwähnt, mit diesem ihrem Wirkstoff äußerst unvorhersehbar zu sein. Mal ist nix drin und dann wieder dreimal zuviel. Was unangenehm wäre, weil es dann blind und tot macht.

Aus diesen Nöten hilft dem abenteuerlustigen Medikamententester aber glücklicherweise das moderne Gesundheitswesen in Gestalt freundlicher Apotheker. Für wenig Geld und ohne jedes ärztliche Rezept ist dort nämlich, gegen Magenkrämpfe, das Medikament Buscopan erhältlich. Die WHO schätzt das sogar für die Menschheit als unentbehrlich ein. Wahrscheinlich wegen seiner beruhigenden Wirkung für Darmspiegelungen, ich weiß es nicht genau, denn Darmspiegelungen sind ähnlich beliebt wie mittelalterliche Höllenvisionen. Medikamente und Drogen sind ja nun oft ein und dasselbe. Und tatsächlich besteht Buscopan aus Butylscopolaminbromid, also dem Scopolamin der Stechäpfel, welches wegen eines zusätzlichen Bromions nicht mehr durch die Blut-Hirnschranke kann. Und wenn das Brom jemand dran gemacht hat, dann kann es der neugierige Patient natürlich leicht wieder abmontieren und erhält einen erstklassigen Stechapfelrausch.

So geschehen im folgenden Bericht, welcher durchaus Gemeinsamkeiten mit anderen Nachtschatten-Erzählungen aufweist, hier konkret Zigaretten und Leute, die nicht da sind, in sehr beklemmender Atmosphäre. Achtet bitte auch auf das kleine Mädchen im Badezimmer.

Eine kleine Trip-Geschichte

Das Experiment machte ich ungefähr Mitte Dezember, ich habe die Substanz mit einem ehemaligen Freund konsumiert, zu diesem Zweck waren wir mit weiteren Freunden bei einem von ihnen zu Hause, insgesamt waren wir 6 Personen.
Ich habe konzentriertes Scopolamin zu mir genommen, also kein Pflanzenbestandteilen, weder Stechapfel noch Engelstrompete, sondern deren Hauptwirkstoff.

Wir nahmen das Medikament Buscopan und zermöserten 3 Tabletten (1 1/2 pro Person) und stellten das Pulver vermengt mit Öl in den Ofen.
Bei 144 Grad Celsius wird das Medikament thermoinstabil und spalten sich auf in Scopolamin und Brom.
Wie sich im Nachhinein herausstellte, wurde mir fast der gesamte Wirkstoff untergemischt, wie viel genau jedoch weiß ich nicht.
Dazu kam noch, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon 2-3 Tage wach war.

Nach etwa 20-30 Minuten nach der Einnahme spürte ich die erste Wirkung, ein starkes drücken auf dem Kopf, ähnlich wie bei Pilzen, jedoch weitaus lästiger.
Dazu kam das Gefühl von Müdigkeit und Schwindel.
Ich entschloss mich also, mich hinzulegen und einfach zu schlafen, daher begab ich mich in den ersten Stock des Hauses und legte mich hin.
Hier beginnt ein ca. 10stündiger Filmriss, in dieser Zeit habe wohl ich den Inhalt meiner Hose und die Hose selbst im gesamten Haus verteilt und bin scheinbar ständig hoch und runter gerannt.
Die nächste Erinnerung ist, wie ich mein Handy halte und es in meiner Hand zerfällt. An dem Tisch im Wohnzimmer waren Leute, die mir unbekannt waren, sie schauten böse auf einen Freund, der auf dem Boden lag, jedoch antwortete keiner und ich traute mich nicht, sie anzusprechen. Also rauchte ich statt dessen Lieber eine Zigarette, ich drehte mir eine und zündete sie an. Es befanden sich jedoch weder Tabak, noch Zigaretten in meinen Händen.

Ab diesem Zeitpunkt fehlt erneut die Erinnerung.

Vielleicht ein oder zwei Stunden später Suche ich meine Hose, etwa 3 Stunden lang, aber finde sie nicht.

Lücke

Ich höre meine Oma und rufe nach ihr. Wir sind immer noch bei dem Bekannten.

Lücke

Meine Freunde sind wach und helfen mir meine Sachen zu finden. Auf der Toilette ist schon die ganze Nacht ein Mädchen, etwa so groß wie das Waschbecken und hält die Hände vor ihr Gesicht.

Lücke

Ich sitze wieder auf der Couch und bin immer noch benommen, der Beginn des Trips liegt zu diesem Zeitpunkt vielleicht 15 Stunden zurück.
Gegen Nachmittag des Folgetags entschließe ich mich nach Hause zu fahren, ich verlaufe mich jedoch auf dem geraden Weg und vergesse meine Tasche, also gehe ich suchend zurück.
Meine Freunde begleiten mich diesmal und verlassen später meine Bahn.
Etwa eine Station später steigen sie wieder ein und wir quatschen, bis ich realisiere, dass ich Musik höre und das alles nicht real ist.
Zuhause angekommen war ich immer noch benommen, also legte ich mich schlafen.
Nächster Tag, ich muss zur Schule doch habe immer noch Probleme mit dem Lesen und schiebe Optiks.
Gegen 12 Uhr hat die Wirkung dann komplett nachgelassen und ich merke wie müde ich bin.

Insgesamt ging der trip von Samstag Ca 23:00 bis Montag 11/12 Uhr.
Die Halluzinationen schienen Sinn zu ergeben und waren nicht von der Realität zu unterscheiden.
Ich war von außen nicht zu erreichen, habe große Erinnerungslücken und rate jedem davon ab, es selbst zu probieren!

zweite böse Frucht

Pflanzliches Scopolamin kann man zum Beispiel in den Stechäpfeln finden, die vor dem Amtsgericht in Moabit wachsen.

Rembeteko – griechisches Haschisch und türkische Melodien

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Im Schlafzimmer von ElGreco und seiner Frau steht ein schwarzes Zelt. Niemand darf sehen, was sich in diesem Zelt befindet. Ihr kleiner Sohn betritt das Schlafzimmer der Eltern nie.

Bei Cannabis-Kultur mit eigener Musik, Kleidung, Sprache und Umgangsformen denkt jeder sofort an Hippies aus Kalifornien oder Rastafari aus Jamaica. Kaum jemand aber weiß, daß wir in Europa auch eine ureigene, musizierende und kiffende Subkultur haben. Und zwar die Rembetes, Liebhaber des griechischen Rembeteko. Gesprochen „Rebeteko“, ohne m, das m ist nur dazu da, damit das b nicht wie v ausgesprochen wird. „Rembetes“ heißt wohl so etwas wie die „Ausgestoßenen“ oder „Verlierer“, heute würde man sie vielleicht Gangster nennen. Der Rembeteko ist ihre Musik.

Die Musik klingt sehr exotisch, eine Mischung aus Sirtaki und diesen türkischen Schmachtfetzen, wie sie hier in Moabit und im Wedding gern aus dunklen BMWs tönen. Aber sehr viel „erdiger, wie ein Folk-Enthusiast sagen würde. Manchmal kann ich Rembetika sogar völlig nüchtern eine ganze Weile anhören. Es ist Haschischmusik, man läßt sich bekifft von den Hüften einer Bauchtänzerin hypnotisieren, nur um zu merken, daß die virtuos tanzenden Finger des Bouzoukispielers grade viel interessanter sind. Rembeteko eignet sich auf jeden Fall überhaupt nicht zum versoffenen Balzen. Tatsächlich ist der bekanntere Sirtaki wohl die alkoholtaugliche Variante, die Schlager-Version des Rembeteko. Der echte Rembeteko aber lässt keinen im Kreis tanzen, er träumt und trauert.

(Wer passende Begleitmusik hören will, der suche sich bei Youtube, Suchwort Rembeteka, etwas aus und lasse es beim Lesen laufen.)

Rembetes feierten wohl erstmals in den 1920er in den Slums von Athen, wo die Vertriebenen der kleinasiatischen Katastrophe gestrandet waren. Mehr als eine Million Flüchtlinge strömten in die wenigen Städte, mit fremder Sprache und fremden Sitten und fremden Liedern. Einzig ihr orthodoxer Glaube machte sie zu Griechen. Vorangegangen war der Völkermord an christlichen Türken während des ersten Weltkrieges. Nach dem Krieg teilten die Siegermächte das Osmanische Reich und richteten rund um Konstantinopel Besatzungszonen ein, Gebiete mit vielen Christen wurden Griechenland zugesprochen. England und Frankreich unterstützten diesen griechischen Anspruch. moralisch, aber nicht militärisch. Immerhin drei Jahre lang versuchten griechische Truppen kleinasiatische Siedlungsgebiet rund um Smyrna zu erobern. Beide Seiten sparten nicht an Massakern, aber 1922 brach die Front zusammen und die Türkei vertrieb kurzerhand alle überlebenden christlichen Griechen. Die große Idee griechischer Nationalisten endete in der kleinasiatischen Katastrophe. Statt des großen Reiches drängten sich die Christen nun alle im kleinen Griechenland. Deren türkische Kultur aber, ihre Musik, ihre Kleidung und ihr Haschisch verstieß nun gegen Griechische Staatsdoktrin. Denn das Nationalgefühl bestand nun darin, alles türkische zu hassen. Die für den Krieg verantwortliche Regierungsmannschaft wurde fix abgeurteilt und erschossen. Türkisches, das sich nicht ausmerzen ließ wird noch heute mit orwellscher Sturheit umbenannt. Mokka, den auch Griechen gern trinken, heißt natürlich griechischer Kaffee. Für einen Griechen war klar, Kiffer gehören eingesperrt, denn sie machen etwas türkisches. Und das, obwohl Griechenland das einzige Land auf dem europäischen Festland war, welches offiziell Haschisch produziert hat.

Das sind alles Gerüchte und Träume bei merkwürdig fremder Musik. Griechenland ist mir fern. Angeblich basiert unsere Kultur auf deren Wissen. Ich glaube aber, das ist eine Phantasie, entstanden in der Renaissance, die für alte Steine eine nekrophile Besessenheit entwickelte, die ausgebleichten Skelette von Tempeln und Statuen verehrend. Das knöcherne Weiß priesen sie als Farbe der Reinheit und Unschuld, wo die Akropolis doch in Wahrheit orientalisch bunt gewesen ist. Das echte Griechenland dämmerte da längst als osmanische Provinz vor sich hin. Und die Wiege unserer Kultur, wo sich die Völker mischten, wo die Prinzessin Europa am Strand von ihrem Stier träumte, ist 1922 zusammen mit Smyrna verbrannt.

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Im schwarzen Zelt gedeihen grüne Pflanzen. ElGreco und seine Frau ziehen sie groß und ernten sie. Auch seine Eltern, die Großeltern seines Sohnes mögen die Pflanzen gerne.

Zwischen den Geschlechtern

Es gibt wohl gute europäische Bücher über Türken, Griechen, Haschischrausch und Flüchtlingskrisen. Ich brauchte aber eines aus Amerika. Wer wissen will, was es mit Asien und Europa, Griechenland und der Türkei auf sich hat, der lese „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides. Ich glaube ohnehin, der bessere europäische Familienroman ist ein amerikanischer. Nur aus der großen Distanz wird deutlich, wie sich auf unserem kleinen Kontinent die Völkerfamilien drängen wie Parteien in einem Mietshaus. Man redet nicht mehr als das nötigste miteinander, weil alle den Schein waren wollen und vor allem, weil niemand die alten Wunden aufreißen will. Denn kaum eine Wohnung, wo nicht eine Vertriebene Großmutter aus dem Fenster in die verlorene Heimat stiert, wo nicht ein Elternteil den Gang zum Briefkasten fürchtet, weil keine Nachricht von den verlorenen Kindern kommen wird, die den Familiennamen abgelegt haben, als sie dem kleinen Haus den Rücken kehrte und ins Land ihrer Träume zogen.

Middlesex also von Eugenides. Der Titel klingt etwas schlüpfrig und das ist auch genauso gemeint. Hauptfigur ist ein Zwitter, ein Mädchen, das sich während ihrer Pubertät in einen Jungen verwandelt. Wahrscheinlich ist es kein großes Buch, zu schrill, zu unterhaltsam, zu flüssig lesbar und vor allem zu gut verkauft. Ob es nun seines Pulitzerpreises würdig ist, interessiert mich nicht. Ich lese zur Unterhaltung, und es hat mich gut unterhalten und dabei noch für historische Themen sensibilisiert.

Eugenides also erzählt das Märchen von Teresias, dem Seher, der zwischen den Geschlechtern wandelte. Das Mädchen mit dem Penis ist ein Enkelkind der kleinasiatischen Katastrophe. Die Großeltern bringen die Seidenraupenzucht nach Detroit, derweil ein konvertierter Moslem in den USA nicht nur bürgerkriegsähnliche Zustände, sondern einen richtig echten Bürgerkrieg vom Zaun bricht, der noch heute tobt. Dazu kann man natürlich auch Motown hören, wenn man griechisch-türkische Folklore nicht mag. Der würde besser zum Cadillac der amerikanisierten Familie passen. Derweil hockt der Großvater in seinem Keller, raucht Haschisch und hört Rembeteko.

Bitte hört hier nicht auf zu lesen. Um im Blog nur die besten Informationen und wirksamsten Ideen zu liefern, haben wir den Text zur Korrektur an unser Redaktionsbüro in Griechenland geschickt. Nach ausgiebigster Recherche bekamen wir die folgenden Hintergrundinformationen und Richtigstellungen unserer bekifften Pauschalisierungen über einen Konflikt, bei dem um korrekte Deutung immernoch vehement gestritten wird. Deshalb stellen wir beide Texte unverändert einander gegenüber. Nach dem Bild geht es weiter.

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ElGreco ist Deutscher. Er hört gern deutschen Hip Hop, während der Ventilator summt und die Abluft über einen Duftfilter abgeleitet wird. Seine Eltern aber sind Griechen. Sein Vater hört gern Rembeteko, das hat er wiederum von seinen Eltern, die nach Griechenland flüchten mussten, ohne ein Wort Griechisch zu können,

Von den Korrespondenten aus Griechenland:

„Die Musik klingt sehr exotisch, eine Mischung aus Sirtaki und diesen türkischen Schmachtfetzen, wie sie hier in Moabit und im Wedding gern aus dunklen BMWs tönen.“
Also für meine Ohren klingt die Musik natürlich überhaupt nicht exotisch, denn sie wird mit Hingabe von Generation zu Generation gespielt und geliebt. Aber das ist natürlich Geschmackssache.

Dass es eine Mischung aus Sirtaki und türkischen Schmachtfetzen sei, ist allerdings auch historisch falsch. Sirtaki ist ein Tanz, der für den Film Alexis Zorbas bzw für Antony Quinn erfunden wurde und kein traditioneller Tanz. Sirtos („gezogen“) nennt man die langsamen Kreistänze, die auf allen griechischen Inseln und auch auf dem Festland bekannt sind und bei dem sich die Tänzer an der Hand halten, während ein wechselnder Vortänzer oder eine Vortänzerin – durch ein Taschentuch – den Kreis mit besonders kunstvollen Figuren anführt.

Die Rembetika-Musik hat ihren Ursprung in Kleinasien – nicht in der Türkei, die im Zuge der Vertreibung und Ermordung anderer Völkerschaften (insbesondere der Griechen und Armenier) erst 1923 gegründet wurde. Vorher war es das Osmanische Reich – ein Vielvölkergemisch. Rembetika ist ein Stück kleinasiatischer Kultur, die eine Mischkultur war.

„Der echte Rembetiko aber lässt keinen im Kreis tanzen, er träumt und trauert“. So ist es. Bauchtänze gehören nicht dazu. Wenn getanzt wird, dann von einzelnen Männern, immer nur von einem, der mit ausgebreiteten Armen und zur Erde geneigtem Kopf seine komplizierten Figuren tanzt, während die anderen ihm kniend zuklatschen. Warum diese Haltung? Ursprünglich entstand der Tanz wohl in den osmanischen Gefängnissen, beim Rundgang im Viereck des Gefängnishofes. Richtig getanzt, fühlt man dies noch heute. Es ist der Tanz eines Menschen, der umsonst seine Flügel ausbreitet, träumend von dem Flug in die Freiheit. Die Musiker sitzen nebeneinander, aufgereiht und bewegungslos. Außer dem Buzuki gehören Geige, Baklama, Gitarre u.a. zum Ensemble
Rembetes feierten wohl erstmals in den 1920er in den Slums von Athen, richtiger: in Piräus und Saloniki. Ab 1923.

Einzig ihr christlicher Glaube machte sie zu Griechen… Das ist nicht korrekt. Die Entwurzelten waren kleinasiatische Griechen, nicht Türken christlichen Glaubens (s.o.).

Es gab die direkt Vertriebenen und es gab die Ausgetauschten. Es gab Ausgetauschte, die hauptsächlich die Sprache ihres Herkunftsgebietes sprachen (z. B. die türkischen Kreter und die Griechen aus Kappadozien) und die danach tatsächlich in sprachfremdem Gebiet überleben mussten. Das trifft aber keinesfalls für Smyrna (heute Izmir) und andere kleinasiatische Küstenstädte zu, auch nicht für die Schwarzmeergriechen (Ponti), deren griechische Kultur viel höher entwickelt war als die der Griechen des neuen griechischen Staates.

Vorangegangen war der Völkermord an christlichen Türken Du meinst offenbar den Völkermord an den Armeniern. Wie oben schon gesagt: Sie waren keine Türken, nicht einmal der Staatsbürgerschaft nach, die es im Osmanischen Reich nicht gab. Sie bildeten eine nicht-türkische Volksgruppe mit besonderen Rechten und Pflichten, von denen es im Osmanischen Reich viele gab. Im neutürkischen Staat gibt es immer noch große nicht-türkische Minderheiten, z. B. die Kurden, die damals von der Vertreibung der Armenier und Griechen profitierten, dann aber sehr bald selbst Opfer von Verfolgung wurden. Auch die Araber, die Aramäer etc sind nicht-türkische Minderheiten. Richtig ist, dass Kemal Atatürk ihnen ihren Minderheitenstatus, der im Osmanischen Reich üblich war, wegnahm, sie wurden zwangsweise türkisiert).

England und Frankreich unterstützten diesen griechischen Anspruch moralisch, aber nicht militärisch. Immerhin drei Jahre lang versuchten griechische Truppen kleinasiatische Siedlungsgebiet rund um Smyrna zu erobern. Smyrna und das Gebiet drumherum wurde aufgrund von Verhandlungen zwischen den Siegermächten und der griechischen Regierung unter Venizelos unter griechische Administration gestellt. Das Stadtgebiet wurde fast nur von Griechen, das Umland aber vorwiegend von Türken bewohnt, die in der Gesamtbevölkerung leicht überwogen. Vorgesehen war, nach einigen Jahren ein Plebiszit abzuhalten, von dem abhängen würde, ob Smyrna und Umgebung dauerhaft zu Griechenland kommen würde. Deshalb machte die griechische Administration eine möglichst türkenfreundliche, versöhnliche Politik, die den griechischen Smyrnioten und insbesondere ihren Kirchenführern ein Ärgernis war. Als nach Wahlen in Athen Venizelos durch die Königstreuen abgelöst wurde, änderte sich das internationale Spiel: der König war ein Schwager des deutschen Kaisers. England ließ daher Griechenland fallen und setzte auf die jungtürkische Karte. Die königstreue Regierung in Athen schickte daraufhin die Armee nach Smyrna, die sogar versuchte, bis nach Ankara zu marschieren. Dieser Kriegszug war verheerend schlecht geplant und brach zusammen. Chaos, Plünderungen, Massaker….Die Folge war dann die „kleinasiatische Katastrophe“, durch die das Griechentum, das dort seit 3000 Jahren siedelte, vollständig entwurzelt wurde.

Und die Wiege unserer Kultur, wo sich die Völker mischten, wo die Prinzessin Europa am Strand von ihrem Stier träumte, ist 1922 zusammen mit Smyrna verbrannt. Dem kann ich zustimmen. Den Ausführungen davor: nun, so und so. Die Renaissance Italiens ist tatsächlich zuerst durch die Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer und Venezianer 1204 (seine Kunstschätze zieren heute noch Venedig) und dann wieder durch den Fall von Konstantinopel durch die Osmanen 1453 in Gang gesetzt worden – und zwar durch die griechisch sprachigen Gelehrten und Künstler, die in Italien eine neue Heimat suchten. Beispielsweise wurde in Venedig der Buchdruck durch Griechen aus Konstantinopel eingeführt….

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Alle Bilder freundlicherweise zur Verfügung gestellt von ElGreco.