Als streng getrennt gelten die Sphären von Pop und Kultur, von ernster und unterhaltender Musik. Während beim seichten, unterhaltenden Genre Drogen präsent, mitunter sogar obligatorisch öffentlich erscheinen, assoziiert man mit der Hochkultur eher ein Glas Sekt in der Pause und den Rest nimmt jeder für sich und redet nicht darüber. Deshalb möchte ich heute allen Lesern empfehlen, doch mal tüchtig berauscht klassische Konzerte zu besuchen. Das macht großen Spaß und steigert den Kunstgenuss.
Unversehens nämlich bekam ich jüngst eine Abo-Karte für ein Konzert geschenkt. Da stand nicht, wer und wie viele was für Stücke spielen. Deshalb hab ich auch gar nicht weiter nachgeforscht und mich stattdessen sorgfältig mit Hanftinktur vorgebreitet. Ort und Zeit waren etwas ungewöhnlich, ein Notturno, ein nächtliches Kammerkonzert also um 22 Uhr im Neuen Museum im Treppenhaus.
Das Neue Museum ist nun wahrlich ein Tempel der bürgerlichen Bildung, mit vielen Säulen, in riesenhaften, wilhelminischen Großreichsdimensionen gebaut. Genügend Luft zum Atmen ist da, trotzdem fühlt man sich etwas erschlagen. Erhebend aber empfand ich das übrige Publikum. Ich fühlte mich wieder jung, denn auch wenn ich zu mehr als einem Drittel ergraut bin, alle anderen waren noch viel grauer.
Da ich mich auch am Ort des Geschehens natürlich nicht um ein Programm bemüht habe, überraschte mich dann, völlig unbekannterweise, das Quartett zum Ende der Zeit von Olivier Messiaen. Bisher hatte ich mich noch nie ernsthaft mit Komponisten des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Gut, Strawinsky kam vor, ein Blaubart von Bartok hat mich mal nachhaltig verstört und von Schönberg wurde abgeraten. Jetzt also Zeitenende mit einer warmen Klarinette.
Der Anfang wirkte etwas autistisch
Die einzelnen Instrumente sprachen in das zyklopenhafte Treppenhaus, jeder monologisierte vor sich hin, antwortete nicht und erwartete keine Antwort. Zusammen mit dem unbequemen Stuhl überkamen mich doch ein wenig Weglauftendenzen. Aber ich war zu bekifft, um im erleuchteten Gebäude an den Leuten vorbei zum Ausgang zu laufen.
Als die Musiker dann zusammenfanden, wurde es schöner. Ich fand es immer noch seltsam, aber schön seltsam. So, wie wenn man auf langer Autobahnfahrt das Radio an hat und sich nach einer Weile denkt, was ist das denn bitte schön, aber nicht abschaltet, weil man doch wissen will, wie es abmoderiert wird. Und genau in der Situation saß ich da ja. Schließlich klang es tatsächlich so, wie die schrägen Gedanken, die im Geist herum wabern, wenn man dabei ist, berauscht einzuschlafen. In der letzten Viertelstunde plagte mich dann auch die Sorge, schlafend vom Stuhl zu fallen. Die Musik fand ich also gut. Ich hätte nur lieber einen Liegestuhl gehabt. Den gibt es in Berlin aber leider nur bei Musik mit Schlagzeug. Und in ernsthafter Musik hat halt kein Schlagzeug vorzukommen. Das finde ich etwas schade, denn mit Rhythmus wäre es sehr viel angenehmer, weil strukturierter. Denn es sind schon sehr schöne Töne, aber mitunter etwas zusammenhanglos. Eine swingende High Hat hätte dem gut getan. Dann würde das Stück aber nicht mehr ernst genommen werden. Man kann nicht alles haben.
Die Apokalypse des Johannes nun habe ich beim zuhören nicht erkannt. Gut, am Ende hämmerte das Klavier eine Schicksalsglocke. Aber die Posaunen und ein Teufelstier mit einer Zahl und unangenehme Reiter fehlten irgendwie. Das Ende der Zeit bei Messiaen klingt eher wie das Ende der Zivilisation in einem ökologisch angehauchten Katastrophenfilm, ein Spaziergang durch einen Dschungel, der Ruinen überwachsen hat.
Die Musiker nun waren weltniveau. Nicht allein, wegen der anmutigen Erscheinung der Cellistin. Auch die Töne klangen alle so, als wären sie genau so gewollt und ferner, als wüssten die Musiker auch noch genau, was sie eigentlich wollten.
Die Novembernacht draußen auf der Museumsinsel machte mich wieder wach und die zuverlässige S-Bahn ließ mich mit angenehm erweitertem Horizont nach Hause schweben. Messiaen kann man mal machen.