
„Ich bin froh wenn ich drin bin“, raune ich. „Dieses Anstehen kotzt mich immer total an.“
Sierra: „Ja, Türstehersituationen regen mich auch immer auf. Und dann diese Kerle, die sich wichtig vorkommen, weil sie auf der GÄSTELISTE stehen.“ Er schüttelt den Kopf, äfft einen Proll nach: „Hey, ich kenn‘ den Türsteher. Höhö! Kein Mensch würde sich für Typen wie motherfuckin‘ Türsteher interessieren. Nur weil sie diesen Job haben, kommen sie sich toll vor. Wie bei der Bundeswehr, lauter elende Persönlichkeiten.“
Ich nicke. Ich bin niemals von einem Türsteher abgewiesen worden. Vielleicht, weil ich sehr deutsch aussehe. Vielleicht, weil wir oft total verfrüht in einen Club gehen, wegen der langen Anreise, oder, weil wir dann sicher reinkommen; wenige Türen werden mit der Nacht leichter.
Einmal kam ein Kollege nicht ins Ultraschall in München, weil er mit seinen Schwarzlochaugen einfach zu druffgeschossen aussah. Das war er natürlich auch. Aber gerade das Schall! Diese längst geschlossene Kultinstitution des zerebralen Rausches, wo Techno auf seine Art mit geformt wurde. Zwar nur als bayrischer Ableger, sozusagen Trabantenstadt von Berlin/Frankfurt. Aber genau dort (ja GENAU hier!) hieß es: Sorry! So nicht.
Nach meinen naiven Vorstellungen sollten Technoclubs ein Zufluchtsort für alle Druffis sein – wo denn sonst, wenn nicht hier? Hier, wo Drogen zwar auch Asozialität und Kaputtness transportieren, aber grade weil man irgendwann total endfertig und glücklich auf einem Sofa sitzt, in der Ecke liegt oder auf der Tanzfläche johlt. Ein Auffangbecken also für alle Verlorenen, Gestrandeten, Verirrten und ihre Freunde.
Wo wenn nicht hier? Und wer, wenn nicht wir?
“Manche lassen Einen dann doch rein, wenn man betrübt und aussortiert in der Ecke steht“, fährt Sierra spuckend fort, „weil die Mit-leid bekommen. Drauf geschissen auf ihr Mitleid.“
“Mitleid würdigt Menschen herab.“ nicke ich.
“Nee mein Freund. Türsteher würdigen Menschen herab. Das hat Techno nicht verdient. Klar, keiner will mit jedem Deppen herumhängen, aber den Faschismus der Coolness kann man auch anders angehen. Wobei: Gegen gute Security hat kein Mensch was. DAFÜR bezahle ich auch. Aber nicht für Selektion.“
Und dann sind wir da. In einem schmucklosen Hausdurchgang versteckt sich die Registratur, mitten im Wohnviertel. Noch in München, aber man fühlt sich wie in einem Vorort. Die Schlange der Wartenden ist weder lang noch kurz. Wir stellen uns an. Brav wie wir sind. Vor uns neben uns, neben und hinter uns die Nachtmenschen. Und natürlich ein paar Trottel die sich vordrängeln.
Noch. Hören wir nichts von der Nacht. Noch. Schweigt der Bass, doch sein Versprechen liegt in der Luft. Herrlich die Anspannung und Aufregung in meinen Fingerspitzen.
„Die Szene hat sich ganz schön verändert“, stellt Sierra fest, als er die Leute begutachtet.
“Ist ja auch Electro, nicht Minimal“, merkt der schlaue Andi an. Doch Sierra schüttelt nur den Kopf: „Yo, aber das ist es nicht. Bei Electro wird zwar mehr gesoffen und ganz anders gedanct, aber mir fehlt die Drogen- und Feierkultur. Wisst ihr, FRÜHER lagen in der Chilloutzone immer Feierzerstörte, druff wie ein Scheißhaus, aber glücklich. Unerträglich glücklich manchmal, besonders, wenn man selber NICHT druff ist, aber die Menschen waren befreiter.“
“Es werden halt weniger Drogen genommen“, füge ich hinzu. Auch das lässt Sierra, mit Kippe im Maul, nicht gelten: „Schon noch, aber weniger exzessiv. Früher hieß der Schlachtruf: Abfahrt! Jetzt gibt es keine Abfahrt mehr. Entweder du bist in Berlin, wo das ganze Wochenende auf dem gleichen Level, permanent zerstört, gefeiert wird. Ich weiß, du findest Minimal langweilig.“ Sagt er zu mir. „ODER du bist im Rest der Republik unterwegs, wo selbst Techno politisch korrekt geworden ist. Es darf NUR NICHT AUFFALLEN, dass man druff ist. Das ist nur noch ein Witz. Erst haben wir unsere Freiheit in Clubs und Raucherzonen verlegt und dann schämen wir uns dafür, wenn wir in diesen Freiheitsbereichen unterwegs sind.“ (Merke: „Unterwegssein“ ist ein Wortspiel für Dichtsein)
“Möglich“, zucke ich die Schultern, „vielleicht liegt es auch am Minimal. Zu extremer Musik muss man sich extrem zerstören. FRÜHER war die Musik extrem.“
Andi: „Das glaubst doch selbst nicht.“
Noch mal Schulterzucken. „Nö, aber ich finde Minimal langweilig.“
Andi: „Und Electro ist Kirmestechno.“
Das würde ich nicht bestreiten.
Die Schlange trottet voran. Und dann geschieht genau das, was wir vorhin so niedergelabert haben. Manchmal füllt man die Klischees, die man ablehnt, ziemlich schnell selbst aus.
“Dünnsack? Bist du es?“ ruft es von den Türstehern.
“Hm?“ Andi dreht sich chemikalisch verstört um und blickt in jede Richtung, außer dahin, wo die Frage herkam. Ich nicke Andis Blick zu den Türstehern. Er guckt hin, lacht ein Lächeln und geht nach vorne. Die Fäuste des Securitys und des Gastes treffen sich. Irgendwas wird gesprochen. Dann werden wir zu ihnen gewunken. Auf die uncoole, trottelige Art. So wie Kinder winken würden, was nicht einer gewissen Sympathie entbehrt. Die Andi-Art also.
“Ihr seid die Freunde vom Dünnsack?“ fragt uns der bullige, kleine Türke an der Tür.
Sierra und ich: „Öh“
Der Türsteher: „Ihr könnt auch umsonst rein. Dünnsacks warme Freunde sind auch meine Freunde.“
Vielleicht. Hat Sierra es überhört. Dieses Warme. Vielleicht wollte er es überhören. Ich aber: „Wen nennst du hier warum warm?“
Nebenbei: Ich habe kein Problem, wenn mich jemand für schwul hält. Das kommt nicht zum ersten Mal vor, ich habe mir angewöhnt, das als Kompliment zu sehen. Denn. Im Regelfall werden nur gepflegte Männer mit einer gewissen Goodlooking-Ausstrahlung für homosexuell gehalten.
„Nun ja,“ meint er von unten zu mir mit seinem deutlichen Akzent, „du hängst mit dem Dünnsack rum. Ich sehe dich. Sehe ihn. Da zähle ich Eins und 1 zusammen.“ Er grinst dabei.
Ich kratze mich mit einem Finger an der Wange, lasse meinen Blick kurz nach oben wandern, dann: „Ich habe eine Freundin. Die ist Prostituierte.“
“Wundert mich nicht.“
Wir Beide: BLICK.
“Und die erzählte mir mal, dass unverheiratete, strenggläubige muslimische Männer zu ihr ins Bordell kommen. Erst dachte ich, damit sie dort die Nutten knallen, aber weit gefehlt. Nein.“ Ich lege eine kleine affektierte Kunstpause ein. „Meine Freundin wird dafür bezahlt, dass sie sich einen Gummidildo umschnallt, um es den osmanischen Brüdern von hinten zu besorgen weil… Das nicht gegen den Glauben verstößt…“ Noch mal eine Pause. Wir sehen uns an. Ich ihn von oben. Er mich von unten. Beide legen wir einen coolen Machoblick hin. Dann. Lächeln wir. „Also“, beginne ich wieder, „ich kenne diese Geschichte. Und ich sehe dich, ich zähle 1 und Eins zusammen, und…“
Den Satz lasse ich offen stehen. Wie meinen Mund und fahre mir mit meiner Zunge von links nach rechts darüber und grinse: „Hm!“
Wir: Grinsen uns an.
„Wie heißt du?“ nickt der Türsteher mir zu.
“Fleming.“
“Und mein Name ist Taylan.“ Er reicht mir die Hand. Ich nehme sie. „Du scheinst in Ordnung zu sein. Mumm zu haben. Respekt kann man sich verdienen. Was hängst du mit so einem Typen wie dem Dünnsack herum?“
“Ganz einfach. Er ist ein Freund.“
“Wirklich?“
Wir sehen Beide zu Andi und Sierra hinüber.
“Schätze schon. Zu Freunden steht man, egal wie kaputt sie sind.“
“Ich hoffe mal, Fleming, dass du dich nicht täuschst. Habt noch viel Spaß heute Nacht.“
“Ich danke dir. Wir sehen uns.“
“Bestimmt. Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.“
(Redaktionelle Anmerkungen und Nachweise: Diese Szene stammt von gegenvernunft, es handelt sich um einen Remix der Blogbeiträge „Text zur Nacht“ 104, 105, 106 und 107. Die Redaktion von meinedrogenpolitik bedankt sich herzlich für diesen Beitrag zu unserem Pillen-September.
Der Blog Strategien gegen Vernunft handelt von Literatur und elektronischer Musik. Wer wissen möchte, wie die Partynacht begann, sollte den Ur-Text zur Nacht lesen.
Die Textbearbeitung und das Foto sind von Alice Wunder. Die Zeichnung stammt aus einem Film von Mamoru Oshii, noch bis zum 16. Oktober 2016 zu sehen in der Tchoban Foundation, Museum für Architekturzeichnung, Berlin.)