Weltflucht ins Paradies – Buchbesprechung „Der Strand“ von Alexander Garland

Wir lasen jüngst “Der Strand” von Alexander Garland. Der Roman wurde ziemlich bald nach Erscheinen auch verfilmt, ziemlich prominent sogar, mit Leonardo DiCaprio. Der Film ist aber völlig an uns vorbeigegangen, deshalb sei hier ausschließlich von dem Buch die Rede. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch noch interessant. Garland beantwortet darin ziemlich präzise folgende Fragen: Was wäre, wenn man mit netten Menschen auf einer einsamen Insel lebt? Und was könnte dabei schief gehen? Am geheimen Strand wird der Backpacker-Traum vom einfachen Leben in den Tropen durchexerziert. Nicht zum ersten mal in der Literaturgeschichte und vielleicht auch nicht die beste Version in den Fußstapfen von Defoe, Golding und Conrad. Als Abenteuer aus einem Land vor der Zeit der Smartphones aber recht flott und direkt geschrieben und sauber konstruiert. Die Übersetzung ist in Ordnung, der deutsche Text ist jetzt keine klingende Poesie, aber die Sprache ist authentisch, wie ein Mittzwanziger mit nachträglich erwachendem Verantwortungsgefühl eben so über seine wilde Jugendzeit denken könnte. Und in diesem Erzählduktus schreitet die Geschichte beständig voran. Es war nicht so spannend, dass wir es in einem Zug verschlungen hätten. Aber lebendig genug, dass auch nach ein paar Tagen Lesepause der Wiedereinstieg leicht fiel. Mehr braucht man nicht zu verlangen, dabei durchaus bemerkenswert: Obwohl über weite Strecken nicht wirklich viel passiert, behält die ganze Geschichte trotzdem die flirrende Spannung eines richtigen Thrillers.

Und dabei ist noch eine schöne Charakterisierung des Menschentyps “Backpacker” gelungen. Ein sehr selbstkritischer Ich-Erzähler berichtet aus seiner Erinnerung von jugendlich-sorgloser Weltenbummelei ohne jede Rücksicht auf irgendwelche Konsequenzen. Er findet nämlich andere Weltenbummler, die ihr Paradies gefunden haben und da für immer bleiben wollen. Das macht den Strand zur Pflichtlektüre, gar nicht mal primär für Drogenpolitiker, sondern für jede Art von Weltflüchtlingen. Dargestellt ist die märchenhafte Kulisse für alle, die vom permanenten Ausstieg träumen.

Garlands Neohippies sind dem Paradies schon ziemlich nahe gekommen. Sie leben den Aussteiger-Traum ohne theoretischen Unterbau. Die Darstellung wirkt ziemlich realistisch, auf der Tropeninsel ohne Regierung entfaltet sich ein erstrebenswert beschauliches, auf angenehme Art eintöniges und dabei aber durchaus arbeitsreiches Leben.

Im Buch gibt es aber natürlich auch das ernüchternde Erwachen mit einer präzisen Analyse, warum es mit dem Paradies nicht klappt und auch gar nicht klappen kann. Mit dem Paradies ist es bekanntlich so ähnlich wie mit dem Himmel: Wer einmal drin, ist kommt nicht wieder um davon zu erzählen und wer wieder kommt, war nicht wirklich drin.

Der gemeinschaftliche Ausstieg geht also schief, trotz viel guten Willens. Das Inselexperiment scheitert ein wenig an menschlichem Dünkel und an mangelnden Ressourcen. Vor allem aber an fehlenden Regeln und Strukturen. Ein gesundheitlicher Notfall tritt ein, die Gruppe – von Gemeinschaft kann man da eben genau nicht sprechen – kann aber nicht reagieren. Medizinische Versorgung ist nicht erreichbar, auch weil niemand die Außenwelt kontaktieren will. Es gibt keinen Notfallplan, weil alle genau vor solchen gesellschaftlichen Verbindlichkeiten geflohen sind und es niemals offiziell besprochen haben.

Die Strandgesellschaft kennt keine Verfassung und keine Notfallpläne. Da es keine Gemeinschaft ist, kann sich auch keine einheitlich Stimme und damit auch kein offizielles Denk- und Planungsvermögen entwickeln. Es gibt nur in dunklen Ecken mündlich geflüsterte Geheimdiplomatie. Die einzelnen Bewohner sind Atome, die mit ihren Ängsten allein bleiben. Ungewollt und unausgesprochen, gibt es dabei trotzdem Hierarchien. Es gibt ein informelles Häuptlings-Ehepaar, die Bewohner zerfallen in Kasten aus Gründungsmitgliedern, Handverlesenen und später Dazugekommenen. Hinter den beiden Häuptlingen wiederum bilden sich Parteien.

Die Nachteile der Zivilisation kamen also mit auf die Insel, die Vorteile, nämlich klar verfasste Regeln, verwoben zu einem stabilen, sozialen Netz, dagegen nicht.

Der Strand ist dabei auch das Urbild einer Protogesellschaft am Scheidepunkt. Hätte es keine romanhafte Katastrophe gegeben, hätten sich die Insulaner bald eine Verfassung geben müssen. Die Ausgangslage ließe verschiedene Modelle denkbar erscheinen. Von der geschlossene Sekte über die halboffene Kommune mit geregelter Außen- und Zuwanderungspolitik bis hin zu einem kommerziellen Hotel-Ressort. Letztere, von echten Dropouts gehasste Entwicklung aber käme der Realität am nächsten.

Rindvieh

Auch in Tropenparadiesen ist, wie eigentlich überall, ständig mit Rindviehchern zu rechnen

Die Realität in den Tropen

Der Strand von Garland liegt in Thailand. Dort eine einsame Insel zu finden, ist nun relativ unwahrscheinlich. Auch im Buch kommt der Strand absolut unerwartet, nennen die Protagonisten doch Thailand das Land der ausgelatschten Pfade. Thailand ist ein Agrarland, mithin also ein einziges Dorf. Und in einem Dorf breiten sich Gerüchte bekanntlich schneller aus, als jede moderne Telekommunikation. Da bleibt nichts unbeobachtet und jeder Quadratzentimeter des scheinbar unberührten Dschungels ist von den Nutzern und Rechteinhabern eifersüchtig bewacht.

Sich verstecken ist dort unmöglich. In den 1980ern konnte man freilich recht bequem aussteigen und manche dieser Aussteiger sind noch immer da. Diese Menschen sind heutzutage Hotelwirte oder Privatiers. Die echten Inselkommunarden in Thailand sind heute Häuptlinge über 10 oder 20 Strohhütten voll temporärer Indianer. Die besseren Kommunarden und Spätaussteiger leben in schicken Bungalows als unumschränkte Herrscher ohne Volk. Und sie hassen einander leidenschaftlich, während der Saison lästern sie mit den Gästen über die Nachbarn, in der Nebensaison lästern sie mit Nachbarn über die Gäste oder gehen einander leidenschaftlich aus dem Weg.

Die Häuptlinge sind überraschend oft Frauen, genau wie im Roman. Liegt das vielleicht an weiblicher Zähigkeit, zu bleiben und nicht bei Schwierigkeiten den Rucksack zu packen und weiterzugehen? Oder doch eher an einer Besonderheit thailändischen Rechts. Ausländer dürfen dort kein Land erwerben. Weiße Männer gelten traditionell als Geldbringer und Betrugsopfer. Ein thailändischer Macho mit einer weißen Frau dagegen kann nicht weglaufen sondern muss sich um das Anwesen kümmern.

In Thailand geht das nicht

Garland hat sehr treffend dargestellt: Aussteigen geht nur auf den Ruinen der Kolonialreiche. Der Ausstieg klappt freilich nur mit Devisen in einer schwachen Wirtschaft eines Entwicklungslandes. Sich ohne Erwerbsarbeit der Selbstfindug widmen geht nur in einer wirtschaftlich und kulturell zerstörten Gesellschaft. Südostasien – und auch das formal unabhängige Thailand – gehören nunmal England und Frankreich und den beerbenden USA. Wir Deutschen werden da immer nur Gäste sein und können die Gegend niemals so ausnutzen und verwohnen, wie Menschen, die sie als ihr natürliches Eigentum betrachten.

Aber der Ausstieg kann klappen

Und wir Deutschen haben die perfekten Vorraussetzungen dafür direkt vor der Haustür. Auf einen Platz an der Sonne gibt es keinen Rechtsanspruch. Unser natürlicher Platz für Ausbeutung und Unterdrückung läuft bekanntlich entlang des nebeligen Ostseestrandes. Dank globaler Flurbereinigung liegt unser Kolonisierungsraum mittlerweile übersichtlich geordnet zwischen Elbe und Oder. Engländern steht ein zur dritten Welt zerrüttetes Empire zur Verfügung. Als Deutsche können wir uns auf einer starken Volkswirtschaft ausruhen. Wir machen das hier in Berlin seit den sechziger Jahren und die fleißige Deutsche Volkswirtschaft ernährt uns – warum, das wissen wir nicht. Vielleicht weil es ihr Spaß macht, oder weil sie meint sie müsste das – Pflichterfüllung scheint diesen Leuten eine innere Befriedigung zu verschaffen. Und mittlerweile auch, weil sie glauben, sie bräuchten eine repräsentative Hauptstadt, geben deutsche Steuerzahler immer wieder Geld für Renovierung, während wir das versaufen und verwohnen. Man muss ein reiches Land um sich haben und es müssen genügend Schnorrer zusammen sein. Dann können wir das Hungertuch in die Soßentöpfe tunken und beim Nuckeln genug Sog entwickeln, dass der Strom aus Steuergeldern nie aufhört. Dieser Passus steht irgendwo in der Verfassung der Aussteigerkommune Groß-Berlin.

Doug

Backpacker auf einer Palliativstation in Bangkok

Berliner Weinmesse 2019

Im Briefkasten lagen mal wieder Freikarten für die Weinmesse und diesmal hatten wir sogar Zeit, da auch hin zugehen. Bei so einem Event ist sorgfältige Vorbereitung geboten. Der disziplinierte Kiffer erscheint natürlich nüchtern zu einer Weinprobe, damit alle Sinne klar und scharf sind und man die wertvollen Produkte auch entsprechend würdigen kann. Gut, vielleicht darf man sich ein ganz kleines Körnchen Haschisch am Vormittag gönnen. Wenn der Weinprobenkumpan dann allerdings erst am späten Nachmittag erscheinen kann, muss unmittelbar vor der Bahnfahrt noch einer durchgezogen werden. Es ist schließlich total unverantwortlich, sich dem Berliner Nahverkehr völlig unbekifft auszusetzen. Und wenn man eh mal wieder seit ein paar Wochen täglich gekifft hat, wird einer mehr oder weniger die Geschmacksnerven jetzt auch nicht mehr großartig denormalisieren.

Bis auf kleine, hobbyfotografische Verzögerungen verlief der Hinweg schon einmal Reibungslos. Bei dem schönen Frühlingssamstag, den wir dank diverser globaler Umstände jetzt schon Mitte Februar genießen dürfen, fiel uns dann auf dem Hinweg das scharfe, nordische Licht auf, welches wiederum das Hauptgebäude des Messegeländes am Funkturm in seiner ganzen Gigantomanie schön kontrastreich in den Nachmittagshimmel zeichnete – die Kunstgeschichte kennt wohl einen Ausdruck für die Architektur des Faschismus, aber mir fällt er grad nicht ein. Eckig und groß halt – Neo-Klassizismus? Egal es lohnt sich nicht, das jetzt nachzulesen, könnt ihr ja selber googlen, wenn’s Euch interessiert. Hier soll ja eigentlich was von Wein geschrieben werden.

Ensemble der Flaschen

An diesem Stand probierten wir gar nichts, aber das hübsche Ensemble der Flaschen vermittelt einen schönen Eindruck der Veranstaltung.

Zu simpel für Fachsimpeleien

Und spätestens jetzt, nach dieser völlig unalkoholischen Einleitung merkt ihr, dass wir bei der drogenpolitik von Wein eigentlich mal so richtig gar keine Ahnung haben. Wir wollen uns nur gepflegt einen auf die Lampe gießen und bei Wein darf man sich dabei ja bekanntlich auch noch kultiviert fühlen.

Also rein ins Getümmel. Als erstes besorgt man sich am Eingang gegen Fünf Euro Pfand ein Glas, dann geht es auch schon los. Jetzt kann man damit einfach zu einem Stand gehen und sich ein Schlückchen einschenken lassen. Mitunter wird man allerdings vorher mit unangenehmen Fragen belästigt, die zum Inhalt haben, welchen Wein man denn nun probieren wolle. Was wiederum für anglophile Protestanten, die sich nicht so richtig mit Wein auskennen, schwierig sein kann. Aber solange man sich nicht schämt, nördlich des Mains aufgewachsen zu sein, kommt man da mit einem frechen „Weiß/Rot“ oder „überraschen Sie mich!“ ganz gut zu seiner Kostprobe. Passend zum Aufwärmen befand sich direkt hinter dem Glasverleih ein Stand mit Winzersekt. Die Frage „süß, trocken oder mittel“ konnten wir auch souverän beantworten. Trocken war dann leider etwas zu trocken, aber es ging ja hier nur um einen kleinen Weckruf für Kreislauf und Geschmacksnerven. Hätten wir uns besser ausgekannt, hätten wir schon hier Sachkenntnis beweisen können, in dem wir schnell den winzigen Rest des Probierschlückchens in das bereitgestellte Gefäß gegossen und nach dem nicht ganz so trockenen gefragt hätten. Aber wir zogen weiter und stellten unsere Unkenntnis beim nächsten Stand direkt wieder unter Beweis, in dem wir als erstes mit einem massiv schweren, spanischen Rotwein starteten. Danach schmeckten die meisten Weißweine dann eher wie aromatisiertes Wasser.

Der Philosoph vom Dreimäderlhaus

Dieser Philosoph überraschte nicht nur mit Leichtigkeit, sondern auch einem ganz ausgeprägten Geschmack von Aprikosen oder Holunderblüten oder etwas ähnlichem. Das Redaktionsteam war geteilter Meinung, aber kann man wirklich Tiefgang von einem Philosophen erwarten, der grade aus einem 3mäderlhaus kommt?

Durchaus lernfähig

Nach ein paar Versuchen, die tatsächlich zu Geschmackserlebnissen führten, welche Weinkenner als elegant oder fein, aber komplex beschreiben würden, verlegten wir uns dann doch auf Rot. Und konnten so tatsächlich unser Weinwissen erweitern. Bei Rotweinen deutscher Winzer kann man nämlich sehr schön die Handwerkskunst bewundern. Es lohnt sich zum Beispiel, die selbe Traube nach unterschiedlichem Ausbau zu verkosten. In jedem Fall müssen die Produzenten aus nördlicheren Regionen viel Mühe in ihre Produkte stecken. Bei den Sonnenländern wie Spanien, Frankreich oder Chile muss der Winzer wenig tun oder den Wein gar zähmen. Da nämlich haut einem meist schon beim Geruch der Sommer um die Ohren. Hier beeindrucken schwere Körper und sehr viel Aroma, vor allem bei chilenischen Gewächsen kann man eigentlich nichts falsch machen. Zu diskutieren bliebe da meist nur, wie stark das zum Wein passende Rinderfilet dann gepfeffert sein darf. Die Antwort würde lauten, bei Chilenen wäre das egal, bei Spaniern mittel und bei Franzosen eher dezent. Aber das ist bei jeder Traube und jeder Zunge höchst individuell und soll hier keinesfalls als letztgültiges Urteil ausgelegt werden.

Im Eiskübel

Ob wir an diesem Stand etwas verkosteten, wissen wir nicht mehr. Auf jeden Fall probierten wir nichts aus dem fotogenen Eiskübel, denn zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns schon mitten in unserer Rotweinphase.

Am Ende führt Alkohol zum Erfolg

Bei einem chilenischen Händler wurden wir dann auch fündig bei unserer immerwährenden Suche nach richtigen Drogen. Hier erstanden wir für günstiges Geld einen Pisco, welchem wir aber demnächst noch einen eigenen Artikel widmen werden. Dieser spirituöse Erfolg wurde dann kurz vor Ladenschluss noch mit einem kostenpflichtigen Gin Tonic besiegelt.

Gin Tonic

Der Gin von Brockman schmeckt so dermaßen überhaupt nicht nach Wacholder, dass der Gin Tonic daraus überaus passend mit einer Blaubeere und einer Pampelmusenzeste serviert wurde.

Denn was helfen einem 12 % Alkohol, wenn man nach gut drei Stunden Weinprobe tatsächlich nicht mal angeheitert die Messehalle verlässt? Zugegeben, so eine nüchterne Weinprobe kann schon Spaß machen. Und es ist ein wirklich schönes und empfehlenswertes Hobby für Leute, die sich für Drogen interessieren, aber keine Zeit mehr für einen anständigen Rausch haben. Wir aber werden uns, allein schon aus Platzgründen, jetzt aber keine Weinsammlung zulegen, sondern bis zur nächsten Weinmesseneinladung wie gehabt bei unseren recht seltenen Traubenbedürfnissen einfach zum Weinhändler um die Ecke gehen, wo wir nach Nennung von Anlass und Preisvorstellung zuverlässig etwas feines empfohlen bekommen.

Funkturm

Nüchtern, aber keineswegs ernüchtert verließen wir die Messe. Zumindest aber der Funkturm hatte alle Lichter an.

Berliner Stout Brand – der umständlichste Schnaps der Welt

Schnaps im Glas

Brewbaker macht endlich richtig harte Drogen mit ordentlich viel Alkohol drin. Zur Verkostung und zum Verkauf stand in der Brauerei ein Stout-Brand mit soliden 40 Umdrehungen. Aus hauseigenem Schwarzbier destilliert, wurde das Wässerchen dann einige Jahre auf Holz gelagert, sogar verschiedene Sorten sind im Angebot. Die Chefin kredenzte dem neugierigen Besucher die No. 3, „Dunkle Premium-Röstung“, diese erste Empfehlung war direkt ziemlich lecker und wanderte in den Einkaufskorb. Da erstanden wir also ein Fläschchen feinen, deutschen Kornbrand, durch Ausbau auf Holzspänen wurde daraus sogar so etwas wie ein richtiger Whisky. Das Getränk ist sehr edel und macht sich auch hübsch im Glas. Ein wirklich angenehmer Absacker, auch gut zum Wachwerden um 9 Uhr Abends, wenn ein Abgabetermin unangenehm nahe gerückt ist oder man seit einem Monat keine Blogbeiträge mehr veröffentlicht hat.

Über die subjektiven Eindrücke einer Spirituose könnte man nun viel reden, vom Lesen allein wird aber keiner betrunken und am Ende schmeckt es jedem anders. Konkrete Werte sind da viel interessanter. Der Tropfen hat nämlich einen nicht unerheblichen Makel, welcher dringend kommuniziert werden muss: Der Spaß ist unglaublich teuer. Eine Flasche ist nun mit 25 Euro durchaus bezahlbar und ein nettes Mitbringsel. Bis man dann realisiert, dass da nur ein Viertel Literchen drin ist. 100 Euro kostet der Liter, meine Herren, selbst hochwertige Spirituosen müssen sowas schon mit einem alten Namen, besonders getöntem Flaschenglas oder einer schicken Geschenkverpackung rechtfertigen.

Das ist echt ein Unfall, anders kann man das nicht nennen. Das streiten die Brauer auch gar nicht ab. Der Schnaps entstand nämlich äußerst umständlich. Es fing wohl an mit ein paar tausend Litern Stout, bestellt und nicht abgeholt. Da wollte jemand den St.-Patricks-Day feiern und hatte vergessen, Iren einzuladen. Kann ja mal passieren. Immerhin besser als bestellt, abgeholt und dann nicht bezahlt. Nachverhandeln ist der Euphemismus für solche betrieblichen Unglücke auf Manager-Sprech und die sind für Mittelgroßunternehmer immer ein schöner Grund, mit huldvoller Miene zu verkünden, dass es dieses Jahr wieder kein Weihnachtsgeld gibt. Was aber macht ein Kleinunternehmer mit einer mittelkleingroßen Menge nicht besonders haltbarem Schwarzbier? Vergammeln lassen? Ja, das geht. Das ergibt Essig, der ist sogar gar nicht schlecht. Aber jetzt auch kein Hammer, leider kein 1000jähriger Bio-Balsamico oder so, sondern halt einfach so ein normaler, milder Salat-Essig. Der trägt die Verluste nicht. Also haben sie das meiste Bier zu einer Schnapsbrenne gekarrt, den Brand auf Fässer mit Holzspänen gezogen und so lange da liegen gelassen, bis der Frust über den verunglückten Auftrag einigermaßen verflogen war.

Immerhin, nach nur drei Jahren auf dem Holz kann der Berliner Stout-Brand sogar mit einem richtigen Single Malt mithalten. Gegengetestet wurde ein Duty-Free-Impulskauf zu 60 Euro/Liter, der, laut Etikett seine 12 Jahre im richtigen Holzfass auf dem Buckel hatte. Und die nehmen sich beide nichts, da macht der dreijährige Berliner keine schlechte Figur. Beide haben noch eine leichte Schärfe, die kann man so lassen, damit es sich nach Schnaps anfühlt, die kann man aber auch mit einem Tropfen Wasser rundschleifen. Das Ergebnis ist ein weicher Brand, edel und nachhaltig in den Aromen, aber nicht aufdringlich. Ob das Schwarzbier durchschmeckt, weiß ich nicht. Ich kann das nicht erkennen und ein einfaches Maischen von Malz ohne das Brauen wäre bestimmt ein bißchen billiger gekommen. Andererseits, wenn man sich mal andere Produkte aus Kleinbrennereien ansieht, die kosten auch alle ähnlich viel und werden aus Rücksicht auf die Psyche der Kunden ebenfalls in kleinen Fläschchen unter die Leute gebracht. Da schlagen sich eben immer Arbeitsaufwand und vor allem die Steuern nieder. Der Staat will schließlich auch fleißig von unserem Rausch profitieren, irgendwer muss ja die Infrastruktur eines Hochlohnlandes ersaufen. Trinken also ist immer förderlich für den Staatshaushalt und wenn es dem Staat gut geht, geht es auch den Menschen gut. Wem das zu unpersönlich ist, der konsumiere bewusst, hochwertig in kleinen Mengen und folge dem Motto der Drogenpolitik: Unterstützt die Brauer und Brenner in Eurer Nachbarschaft!

Dat Wit von Brewbaker – Wenn die Tage heißer werden

 

Witbier Dat Wit Brewbaker

Pünktlich zum Sommerende präsentiert die Drogenpolitik dann auch mal das Sommerbier des Jahres 2018. Also das Bier, das wir im Sommer sehr gern getrunken haben und von dem wir aus diversen Hinderungsgründen erst jetzt schreiben können oder wollen. Unsere favorisierte Brauerei in der Nachbarschaft, Brewbaker aus Moabit, hat nämlich in diesem Sommer ein Wit gemacht. Ein Wit oder Witbier, nach Belieben kann Bindestrich oder Worttrennung eingefügt werden, ist ein belgisches Weißbier. Es enthält sogar auch Weizen, kommt aber völlig anders daher als ein bayrisches Weiß- oder Weizenbier wie ich es bisher kannte. Schon vom Ansehen ist eine Verwechslung mit Weizen ausgeschlossen: Dat Wit ist durchscheinend blass gelb mit relativ großporigem, recht stabilem Schaum. Geschmacklich setzt ein Wit auch ganz andere Akzente. Wo das Weißbier eher an eine notdürftig verflüssigten Hefeteig im Gärungszustand erinnert, ist ein Wit völlig körperlos und gradezu ätherisch spritzig. Vom Getreide schmeckt man überhaupt nichts, von Hopfen, welcher angeblich auch in sehr geringen Mengen an der Herstellung beteiligt war, wollen wir gar nicht erst anfangen.  Dafür prägen Gewürze den Geschmack. Das klingt jetzt erst mal schlimmer, als es ist.

Gewürztes Weißbier

Diese Gewürze sind wohl richtig mitgebraut. Ich sag jetzt mal, die sind wahrscheinlich beim Würzekochen mit in den Kessel gefallen, einfach nur, damit das so klingt, als hätte ich vom Brauen auch ein wenig Ahnung. Das kann einem aber herzlich egal sein, wenn man das Bier nur trinken will. Im belgischen Original werden wohl traditionell – auch ein ganz tolles Rezensions-Adjektiv – Koriander und Orangenschalen verbraut. Das Berliner Wit hat neben Koriander noch Zitronengras und Kaffirlimetten bekommen, laut Aussage des Braumeisters jedenfalls, auf dem Etikett steht nämlich nur ganz allgemein Gewürze. Das Triplett ist auch europäischen Gaumen wohl bekannt und allgemein beliebt aus Thai-Curry und Coca Cola, mithin absolut getränketauglich.

Mit einem guten Schuss limonadiger Säure schmeckt das Wit dann nämlich ein bißchen wie Radler, hat aber 5,5 % Alkohol. Es handelt sich also um ein richtiges, echtes Bier, nichts gepanschtes oder familienfreundlich-alkoholreduziertes. Limonadentypisch wird die Fruchtsäure von einer angenehmen Süße abgerundet, das aber überhaupt nicht pappig, sondern sehr frisch bierig, wie ein Kölsch, nicht wie ein Bock. Diese süße Abrundung könnte von dem Weizen kommen, welcher für ein Wit angeblich unvermälzt mit in die Maische kommt. Es könnte aber auch genauso gut das Zitronengras gewesen sein. Es lohnt sich aber nicht, darüber nachzudenken, denn Witbier soll gar kein großes Kunstwerk sein, sondern ein Bier zum Trinken für heiße Tage. Auch für den immer noch anständig warmen Herbst ist es eine gute Empfehlung. Wir haben schließlich keine Zeit mehr, nach den Schuldigen für den Klimawandel zu suchen, sondern müssen zusehen, wie wir mit den veränderten Bedingungen leben können, ohne unnötig lange nüchtern zu bleiben. Da will schnell ein passendes Bier gefunden sein. Wit ist ein guter Kandidat.

Lemke – Craft Beer in touristischen Zentren

Lemke Hackescher Markt Craft Beer

In einer Metropole der zivilisierten Welt sollte ein alkoholisches Getränk auswärts mindestens fünf Euro kosten. Ein hoher Preis trägt den Gefahren der Droge Rechnung. Außerdem soll Ausgehen immer auch zeigen, was man hat. Schließlich hat einheitlich hoher Preis den Vorteil, unglaublich egalitär auszusehen und trotzdem die Wenigerbesitzenden effektiv und effizient zu benachteiligen. Solche sozioökonomischen Binsenweisheiten sind aber für Berlin ein wenig problematisch. Im ganzen Land bewegt sich ja sowieso schon der Preis für Bier, unser deutsches Grundnahrungsmittel, in der Nähe von Leitungswasser. Berlin im besonderen kämpft dazu noch, trotz aller Aufwertungsbemühungen, mit skandalös niedrigen Lebenshaltungskosten. Alle Versuche der Gastronomie, sich davon abzuheben, werden von Spätis und Imbissbuden systematisch konterkariert.

Insofern ist Craft Beer ein ganz hervorragendes Mittel, um in der Preispolitik auf internationales Niveau zu steigen. Wer die aufstrebende Hauptstadt dabei unterstützen möchte, kann das ganz bequem in Lemkes Brauhaus tun. Der Traditionsbetrieb unterhält für das standesbewusste Besäufnis nämlich drei Dependancen in der Hauptstadt, welche direkt in und neben touristischen Zentren liegen. Es muss also niemand für sein Craft Beer durch irgendwelche verranzten Hipsterviertel stolpern. Da zapft Lemke ganz vorzüglich direkt am Schloss Charlottenburg oder am Hackeschen Markt in den S-Bahnbögen. Das Haus am Alexanderplatz haben wir noch nicht besucht, zum Alex gehen wir erst wieder, wenn der Senat jedem Besucher mindestens einen Taschendiebstahl, ersatzweise zwei Belästigungen, garantieren kann.

Die beiden getesteten Häuser bieten nicht nur bürgerlich akzeptable Preise, alles subbürgerliche Milieu wird auch durch ein gediegenes Ambiente von der Bierquelle ferngehalten. Es dominieren lackiertes, braunes Holz in rustikalen, geräumigen Hallen. Die Kellner eilen in kleinkarierten Hemden sehr umsatzbeflissen zu den Gästen. Man fühlt sich, als ob ein amerikanisches Marketing-Team versuchte, kontinentale Gemütlichkeit zu inszenieren. Und damit sitzt man schon wesentlich gemütlicher, als in solchen Läden, in denen amerikanische Jungbrauer versuchen, Europäer mit transatlantischer Lässigkeit und schlecht imitiertem Fastfood zu beeindrucken. Die Speisen haben wir nicht probiert, aber was vorbeigetragen wurde sah deftig und lecker aus und nach dem dritten Starkbier kann eh keiner mehr die Qualität von Schweinshaxen beurteilen.

Die Biere nun genügen allen Qualitätsansprüchen

Gut, das böhmische Pils lohnt sich nicht, da kann man auch für ein Drittel des Geldes Staropramen vom Späti trinken, Tschechien überflügelt als Biernation Deutschland sowieso, was Qualität und Preis angeht. Das Douple IPA – Lemke nennt es „Imperial IPA“, war aus der Flasche ein wenig schwachbrüstig. Aber IPA vom Fass und Imperial Stout aus der Flasche sind bei Lemke ganz unbedingt empfehlenswert. Wie sie genau schmecken, darüber wollte ich mich ja nicht mehr auslassen, denn zu subjektiv scheinen alle Bierbesprechungen. Vor allem, wenn der Besprecher ein paar Bier intus hat. Aber alle Produkte von Lemke schmecken gleichsam edel und professionell. Gemeinsam scheint ihnen eine dezent süße, blumige Grundnote. Echtes Craft Beer in echter Brauhausathmosphäre, nur wenige Schritte von größeren Taxiständen und Bahnstationen entfernt. Eine echte Empfehlung für Berlin-Besucher, vor allem wenn einem Kälte, Regen und frühe Dunkelheit jegliche Lust auf ausgedehnte Stadtspaziergänge verderben.

Mittagsbier mit Stadtgeschichten

Ein neuer Monat ist angebrochen und es wird mal wieder Zeit, dass sich die Drogenpolitik meldet. Allerdings steckt die ganze neue Ausrüstung für das Drogenlabor noch in der Post und für Pflanzungen ist es viel zu kalt. Also tat ich, was wir Berliner Kreativen eben so tun, wenn uns nichts kreatives mehr einfällt. Wir gehen vor die Tür und schauen, womit sich die Nachbarschaft grade langweilt. Da springt immer mindestens eine Kolumne bei raus.

Jetzt könnte ich direkt davon anheben, wie man mit einem Kleinkind am Samstag Vormittag durch die Supermärkte streift. Das wäre aber dann doch arg kleinteilige Jammerei. Denn, kurz gesagt, das ist derart nervenaufreibend, daß man ab 12 Uhr mittags das dringende Bedürfnis nach einem kühlen Glas Bier bekommt. Natürlich macht der Alkohol überhaupt nichts besser, im Gegenteil. Man schwitzt schneller und erhöht das Risiko, sich eine unangenehme Rückenverletzung zuzuziehen, während man das Kleinkind auf den Schultern durch den Straßenverkehr wieder nach Hause schleppt. Aber die Drogen sind ja alle immer nur für den kurzen, entspannenden Moment des bewussten Konsums so schön.

Zum Glück liegt da immer die Arminius-Markthalle auf meiner Route. Die Einrichtung scheint mitten aus dem Herzen des alten Westberlins zu stammen. Nach wie vor floriert die Currywurstbude von den „Drei Damen vom Grill“, von denen ich zwar niemals eine Folge gesehen habe, deren Name mir aber ein Begriff ist. Und sie zehren wohl ganz gut vom altbundesrepublikanischen Fernsehruhm, denn die Würste und das Frittiergut sind im Vergleich zu ortsnaher Konkurrenz eher so durchschnittlich. Aber nicht wegen der Currywurst bin ich da, sondern weil man in der Halle sein Angebot von verschiedenen Gastronomen an einem Tisch verzehren kann. Konkret holte ich also ein Bier von meinem Lieblingsbrauer und wir ließen uns damit am Eisladen nieder, wo ich mit Serviette in der Hand meiner Aufsichtspflicht beim Schokoladeneisverzehr nachkam.

Kaum sitze ich, spricht man mich vom Nebentisch auf die Nahrungsmittelkombination an. Ein langhaariger, berufsjugendlicher Mittfünfziger mit kreisrunder Brecht-Brille und Jeansjacke. In einer westdeutschen Kleinstadt würde jemand mit solchem Erscheinungsbild vielleicht als Langzeitstudent oder Professor naiven Pädagogikstudentinnen nachstellen oder ein Antiquariat betreiben. Hier Berlin ist er dem wohlsituierten Establishment zuzuordnen, vielleicht ein Pädagogikprofessor oder Bibliothekar im gut bestallten öffentlichen Dienst. Auf jeden Fall erfolgt keine moralisierende Intervention, der Herr macht eher den Eindruck, als beneide er mich um mein wohlverdientes Mittagsbier. Er und seine Begleiterin empfehlen mir weitere ungewöhnliche Beigaben für Speiseeis, Rotwein etwa oder Kürbiskernöl zu Vanilleeis solle ich unbedingt versuchen. Schließlich offenbart sich, der Mann ist in der Straße aufgewachsen, in der ich jetzt wohne. Und auf dem Grundstück, auf dem heute unser Haus steht, war ein Medikamentengroßhandel, in welchem der Vater des Mannes arbeitete, immer Samstags begleitete er ihn, Kartons entsorgen auf einer Müllkippe in Wannsee, die es nicht mehr gibt. Unnützes Wissen, welches den Lokalpatriotismus stärkt und den Mythos der Stadt am Leben erhält. Ich mag meine Nachbarschaft.Reihe7 Arminius-Markthalle Berlin Moabit

Quartett zum Ende der Zeit – Bekiffte Rezension

Als streng getrennt gelten die Sphären von Pop und Kultur, von ernster und unterhaltender Musik. Während beim seichten, unterhaltenden Genre Drogen präsent, mitunter sogar obligatorisch öffentlich erscheinen, assoziiert man mit der Hochkultur eher ein Glas Sekt in der Pause und den Rest nimmt jeder für sich und redet nicht darüber. Deshalb möchte ich heute allen Lesern empfehlen, doch mal tüchtig berauscht klassische Konzerte zu besuchen. Das macht großen Spaß und steigert den Kunstgenuss.

Unversehens nämlich bekam ich jüngst eine Abo-Karte für ein Konzert geschenkt. Da stand nicht, wer und wie viele was für Stücke spielen. Deshalb hab ich auch gar nicht weiter nachgeforscht und mich stattdessen sorgfältig mit Hanftinktur vorgebreitet. Ort und Zeit waren etwas ungewöhnlich, ein Notturno, ein nächtliches Kammerkonzert also um 22 Uhr im Neuen Museum im Treppenhaus.

Das Neue Museum ist nun wahrlich ein Tempel der bürgerlichen Bildung, mit vielen Säulen, in riesenhaften, wilhelminischen Großreichsdimensionen gebaut. Genügend Luft zum Atmen ist da, trotzdem fühlt man sich etwas erschlagen. Erhebend aber empfand ich das übrige Publikum. Ich fühlte mich wieder jung, denn auch wenn ich zu mehr als einem Drittel ergraut bin, alle anderen waren noch viel grauer.

Da ich mich auch am Ort des Geschehens natürlich nicht um ein Programm bemüht habe, überraschte mich dann, völlig unbekannterweise, das Quartett zum Ende der Zeit von Olivier Messiaen. Bisher hatte ich mich noch nie ernsthaft mit Komponisten des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Gut, Strawinsky kam vor, ein Blaubart von Bartok hat mich mal nachhaltig verstört und von Schönberg wurde abgeraten. Jetzt also Zeitenende mit einer warmen Klarinette.

Der Anfang wirkte etwas autistisch

Die einzelnen Instrumente sprachen in das zyklopenhafte Treppenhaus, jeder monologisierte vor sich hin, antwortete nicht und erwartete keine Antwort. Zusammen mit dem unbequemen Stuhl überkamen mich doch ein wenig Weglauftendenzen. Aber ich war zu bekifft, um im erleuchteten Gebäude an den Leuten vorbei zum Ausgang zu laufen.

Als die Musiker dann zusammenfanden, wurde es schöner. Ich fand es immer noch seltsam, aber schön seltsam. So, wie wenn man auf langer Autobahnfahrt das Radio an hat und sich nach einer Weile denkt, was ist das denn bitte schön, aber nicht abschaltet, weil man doch wissen will, wie es abmoderiert wird. Und genau in der Situation saß ich da ja. Schließlich klang es tatsächlich so, wie die schrägen Gedanken, die im Geist herum wabern, wenn man dabei ist, berauscht einzuschlafen. In der letzten Viertelstunde plagte mich dann auch die Sorge, schlafend vom Stuhl zu fallen. Die Musik fand ich also gut. Ich hätte nur lieber einen Liegestuhl gehabt. Den gibt es in Berlin aber leider nur bei Musik mit Schlagzeug. Und in ernsthafter Musik hat halt kein Schlagzeug vorzukommen. Das finde ich etwas schade, denn mit Rhythmus wäre es sehr viel angenehmer, weil strukturierter. Denn es sind schon sehr schöne Töne, aber mitunter etwas zusammenhanglos. Eine swingende High Hat hätte dem gut getan. Dann würde das Stück aber nicht mehr ernst genommen werden. Man kann nicht alles haben.

Die Apokalypse des Johannes nun habe ich beim zuhören nicht erkannt. Gut, am Ende hämmerte das Klavier eine Schicksalsglocke. Aber die Posaunen und ein Teufelstier mit einer Zahl und unangenehme Reiter fehlten irgendwie. Das Ende der Zeit bei Messiaen klingt eher wie das Ende der Zivilisation in einem ökologisch angehauchten Katastrophenfilm, ein Spaziergang durch einen Dschungel, der Ruinen überwachsen hat.

Die Musiker nun waren weltniveau. Nicht allein, wegen der anmutigen Erscheinung der Cellistin. Auch die Töne klangen alle so, als wären sie genau so gewollt und ferner, als wüssten die Musiker auch noch genau, was sie eigentlich wollten.

Die Novembernacht draußen auf der Museumsinsel machte mich wieder wach und die zuverlässige S-Bahn ließ mich mit angenehm erweitertem Horizont nach Hause schweben. Messiaen kann man mal machen.

Cello

Brewbaker – Mein Lieblingsnachbar ist ne Brauerei

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Glück ist, wenn man an heißem Augusttag für eine Reportage eine Brauerei besichtigen muss.

Kürzlich besuchte ich die Brauerei Brewbaker. Diese liegt nur ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt in der Sickingenstraße in Moabit. Nach dem ich nun etliche Jahre deren Biere besonders gern trinke, habe ich nämlich endlich herausgefunden, dass sie direkt in der Brauerei ihr Bier verkaufen und auch Führungen anbieten. Ich las und tat und muss deshalb gleich zu Anfang eine Richtigstellung veröffentlichen über alles, was ich bisher zu Brewbaker-Bier schrieb:

Denn frisch aus dem Kühlraum der Brauerei schmeckt das alles mindestens doppelt so gut wie aus dem Laden und dann bei mir zu Hause schlecht gelagert. Alles was ich bisher über das Bier gesagt habe, war also falsch und quasi gelogen. Das frische Bier bringt mich dann dazu, es so schnell wegzutrinken, dass ich gar keine Zeit habe, irgendwelche Geschmäcker zu unterscheiden. Und eigentlich will ich sofort noch eins trinken und gar nichts darüber schreiben. Außerdem hat das der liebe Bloggerkollege schlimmerdurst neulich viel, viel besser gemacht. Wer also eine vernünftige gustatorische Rezension lesen will, schau sich diesen schönen – übrigens von mir initiierten Bericht über drei Brewbaker-Biere an.

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Michael Schwab engagiert sich für gutes Bier

Der Braumeister, Chef und Gründer, Michael Schwab machte die Brauereiführung. Groß zu führen gibt es allerdings nichts. Der Betrieb liegt in einer kleinen Lagerhalle, das Gebäude teilt er sich passend mit einem Getränkehandel. In der einen Hälfte stehen sechs oder sieben Edelstahlkessel, viel Platz nimmt das Flaschenlager ein. Und wenn grad kein Brautag ist, steht das Bier halt in einem der Kessel herum und möchte dabei gerne in Ruhe gelassen werden. Natürlich gibt es unangenehme Alltagsdinge zu erledigen. Zum Beispiel Kessel reinigen oder verschlissene Kleinteile austauschen. Solche Details wurden mir zum Glück erspart, stattdessen setzte sich der Chef bei einem lecker Bierchen an den Tisch vor der Bürobox und erzählte aus dem Brauer-Nähkästchen. Dabei präsentiert er sich freundlich und zurückhaltend, extrem selbstkritisch, was seine Arbeit betrifft und sehr engagiert wenn es um korrekte Etikettierung und Herkunftsbezeichnungen von Bier geht. Damit ist er natürlich der personifizierte Marketing-Albtraum, der tatsächlich die Überzeugung lebt, nur mit guten Produkten allein am Markt zu bestehen. Wenn Schwab dann noch sagt, dass er absolut nicht der Typ dafür ist, mit Banken über Investitionskredite zu verhandeln, mach ich mir langsam Sorgen um meinen Biernachschub. Aber um genau das Bier zu machen, das seinen eigenen Ansprüchen genügt, hat er die Anstrengungen auf sich genommen, einen eigenen Betrieb zu gründen und zu führen. Und das läuft nun seit 12 Jahren und ist von der Wirtshausbrauerei zum sechs Mann starken Unternehmen gewachsen.

Mit seinen englischen Ales liegt Brewbaker voll im Trend, dabei hat er überhaupt keine Lust auf irgendwelchen Craftbeer-Hype. Andererseits ist er für experimentelles Brauen extrem aufgeschlossen, er sprudelt über vor Ideen für neue Rezepte. Da hilft er auch gerne, er möchte am liebsten sofort alles stehen und liegen lassen und begeisterten Laien helfen, in der Garage ihre Heimbrauanlage einzurichten. Oder er vermietet seine Kessel und steht dann zahlenden Braugästen mit Rat und Tat zu Seite. Ein wenig enttäuscht es ihn nur, wenn so ein Zögling direkt mit dem ersten Sud zu Festivals und Szeneläden fährt und mit buntem Etikett und großer Kampagne unausgereifte Produkte vermarktet. Man glaubt Schwab, dass er niemandem geschäftliche Erfolge neidet. Jeder kann und soll gutes Bier herstellen, sein Herz schlägt für die kreativen Heimbrauer. Als Profi aber – und das ist der studierte Brautechniker – erwartet er von Mitbewerbern, dass sie ihre hochwertigen Produkte in gleichbleibender Qualität und in ausreichender Menge produzieren können. Wenn das nicht klappt, ist der Perfektionist nicht zufrieden. Nicht mit anderer Leute Bieren und nicht mit seinen eigenen. So blickt er fast wehmütig eine Flasche aus meinem Einkauf an und sinniert über einen unerwünschten Oxidationston, den dieser Sud leider abgekriegt hatte, Schuld war ein Luftblase , welche sich aus Unachtsamkeit in den Prozess geschlichen hatte. Das näher zu beschreiben, übersteigt allerdings meine Fähigkeiten, denn mir hat das betreffende „Berliner Art“ zu Hause dann mal wieder ganz hervorragend geschmeckt.

Dringende Empfehlung der Redaktion: Wer in Moabit unter der Woche tagsüber Lust auf bestes Bier hat, soll unbedingt bei Brewbaker vorbeischauen. Ansonsten stehen auf der Website Adressen, wo man Brewbaker kaufen und trinken kann.

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Eine Brauerei besteht eigentlich nur aus Kochtöpfen. Die sind halt aber ziemlich groß, haben mehr Fläche zum Saubermachen und viele Kleinteile oben und unten und vorne und hinten sowieso. 

Kaiserlich kräftig – Imperial Stouts

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Schoppe Bräu aus Kreuzberg macht mit dem Black Flag eine fröhliche, seidig-sanfte Variante, ohne die teerige Bitterkeit abzuschwächen.

Stouts sind eigenwillige Biere. Jedenfalls für den kontinentalen Geschmack. Stouttrinken lernte ich entsprechend bei einem Irlandurlaub. Am ersten Abend bekam ich zwei Guinness verabreicht. Mir war leicht übel, obwohl ich mich nicht angetrunken fühlte. Am nächsten Abend aber meldete sich das Bedürfnis nach einem Glas bitter-holzigem Schwarzbier. Und an allen weiteren Abenden des Urlaubs. Aber immer nur eines. Für eine Alkoholwirkung ergänzte ich das Abend-Guinness dann lieber mit Hot Toddy, ein Whiskey-Grog mit Nelken, welcher außerdem als Medizin gilt, die man zu sich nehmen kann, ohne in den Verdacht zu geraten, ein sinnloses Rauscherlebnis zu suchen. Abschließend beurteilt fand ich das Guinness ganz lecker, aber nichts um fröhlich zwei, drei und viele zu trinken. Außerdem schmeckt es außerhalb Irlands fürchterlich, Puristen grenzen den Wohlgeschmack sogar auf das Dubliner Stadtgebiet ein.

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Courage heißt heute die Londoner Brauerei, die wohl das erste Imperial Stout für den Zarenhof braute. Nach Originalrezept entsteht immer noch ein ausgewogenes, leckeres Bier.

Mehrere Leben später stolperte ich dann nichtsahnend über Imperial Stout. Im Prinzip wie ein Guinness, nur mit doppelt so viel Alkohol und doppelt intensivem Geschmack, vom Hahn ungemein köstlich und phantastisch wirksam. Es hatte alles, was einem gewöhnlichen Stout fehlt. Das wurde zu meinem Erweckungserlebnis mit der Craft Beer-Bewegung, ich wähle hier ganz bewußt eine gemischte Schreibweise, die englische Wortkombination ohne Bindestrich, die deutsche Wortverbindung selbstverständlich mit Strich vermählt. So kann man in zwei Sprachen orthographisch anecken. Eigentlich sollte ich jetzt noch was kyrillisches bringen, denn das Imperial Stout ist eine englische Schöpfung, welche aber wohl hauptsächlich für den Petersburger Hof der deutschstämmigen Zarin Katharina erfunden und produziert wurde. Womit dann wieder der Kreis zu den Marketingkonzepten des modernen Craft Beer’s geschlossen wäre, das ja gern mit ironisch gewichstem Traditionsbart und trotzdem flott-polyglott präsentiert wird.

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Mein Favorit, die Berliner Nacht, ist wie alle ernsten Brewbaker-Kreationen überwältigend bitter, aber herzensgut.

Unser Glück dabei, daß bärtige Jungbrauer diesen schönen Bierstil wiederbelebten, der einst mit dem Zarenhof von der Weltbühne verschwand. So dürfen wir heute wunderbare Biere genießen, die gleichsam berauschend stark und dabei disziplinierend bitter und schokoladig-sähmig-sättigend sind. Wer aber mit nur einem Glas einen anständigen Rausch wünscht, der sollte den Outlaw Czar probieren, ein Cocktailrezept das ich bei schlimmerdurst fand. Es handelt sich dabei im Grunde um ein dunkles Herrengedeck, also schwarzes Starkbier mit Schnaps. Ich hielt mich nur sehr vage an die Mengenangaben, im Pokal schwamm dann dickflüssige Trunkenheit, die sich wie Straßenteer über samtliche Synapsen legte und auch am nächsten Tag noch deutlichste Erinnerungen an einen sehr verschwommenen Abend hervorrief.

Die drei drogenpolitisch empfehlenswerten Imperial Stouts sind übrigens kurz in den Bildzeilen besprochen.