Quartett zum Ende der Zeit – Bekiffte Rezension

Als streng getrennt gelten die Sphären von Pop und Kultur, von ernster und unterhaltender Musik. Während beim seichten, unterhaltenden Genre Drogen präsent, mitunter sogar obligatorisch öffentlich erscheinen, assoziiert man mit der Hochkultur eher ein Glas Sekt in der Pause und den Rest nimmt jeder für sich und redet nicht darüber. Deshalb möchte ich heute allen Lesern empfehlen, doch mal tüchtig berauscht klassische Konzerte zu besuchen. Das macht großen Spaß und steigert den Kunstgenuss.

Unversehens nämlich bekam ich jüngst eine Abo-Karte für ein Konzert geschenkt. Da stand nicht, wer und wie viele was für Stücke spielen. Deshalb hab ich auch gar nicht weiter nachgeforscht und mich stattdessen sorgfältig mit Hanftinktur vorgebreitet. Ort und Zeit waren etwas ungewöhnlich, ein Notturno, ein nächtliches Kammerkonzert also um 22 Uhr im Neuen Museum im Treppenhaus.

Das Neue Museum ist nun wahrlich ein Tempel der bürgerlichen Bildung, mit vielen Säulen, in riesenhaften, wilhelminischen Großreichsdimensionen gebaut. Genügend Luft zum Atmen ist da, trotzdem fühlt man sich etwas erschlagen. Erhebend aber empfand ich das übrige Publikum. Ich fühlte mich wieder jung, denn auch wenn ich zu mehr als einem Drittel ergraut bin, alle anderen waren noch viel grauer.

Da ich mich auch am Ort des Geschehens natürlich nicht um ein Programm bemüht habe, überraschte mich dann, völlig unbekannterweise, das Quartett zum Ende der Zeit von Olivier Messiaen. Bisher hatte ich mich noch nie ernsthaft mit Komponisten des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Gut, Strawinsky kam vor, ein Blaubart von Bartok hat mich mal nachhaltig verstört und von Schönberg wurde abgeraten. Jetzt also Zeitenende mit einer warmen Klarinette.

Der Anfang wirkte etwas autistisch

Die einzelnen Instrumente sprachen in das zyklopenhafte Treppenhaus, jeder monologisierte vor sich hin, antwortete nicht und erwartete keine Antwort. Zusammen mit dem unbequemen Stuhl überkamen mich doch ein wenig Weglauftendenzen. Aber ich war zu bekifft, um im erleuchteten Gebäude an den Leuten vorbei zum Ausgang zu laufen.

Als die Musiker dann zusammenfanden, wurde es schöner. Ich fand es immer noch seltsam, aber schön seltsam. So, wie wenn man auf langer Autobahnfahrt das Radio an hat und sich nach einer Weile denkt, was ist das denn bitte schön, aber nicht abschaltet, weil man doch wissen will, wie es abmoderiert wird. Und genau in der Situation saß ich da ja. Schließlich klang es tatsächlich so, wie die schrägen Gedanken, die im Geist herum wabern, wenn man dabei ist, berauscht einzuschlafen. In der letzten Viertelstunde plagte mich dann auch die Sorge, schlafend vom Stuhl zu fallen. Die Musik fand ich also gut. Ich hätte nur lieber einen Liegestuhl gehabt. Den gibt es in Berlin aber leider nur bei Musik mit Schlagzeug. Und in ernsthafter Musik hat halt kein Schlagzeug vorzukommen. Das finde ich etwas schade, denn mit Rhythmus wäre es sehr viel angenehmer, weil strukturierter. Denn es sind schon sehr schöne Töne, aber mitunter etwas zusammenhanglos. Eine swingende High Hat hätte dem gut getan. Dann würde das Stück aber nicht mehr ernst genommen werden. Man kann nicht alles haben.

Die Apokalypse des Johannes nun habe ich beim zuhören nicht erkannt. Gut, am Ende hämmerte das Klavier eine Schicksalsglocke. Aber die Posaunen und ein Teufelstier mit einer Zahl und unangenehme Reiter fehlten irgendwie. Das Ende der Zeit bei Messiaen klingt eher wie das Ende der Zivilisation in einem ökologisch angehauchten Katastrophenfilm, ein Spaziergang durch einen Dschungel, der Ruinen überwachsen hat.

Die Musiker nun waren weltniveau. Nicht allein, wegen der anmutigen Erscheinung der Cellistin. Auch die Töne klangen alle so, als wären sie genau so gewollt und ferner, als wüssten die Musiker auch noch genau, was sie eigentlich wollten.

Die Novembernacht draußen auf der Museumsinsel machte mich wieder wach und die zuverlässige S-Bahn ließ mich mit angenehm erweitertem Horizont nach Hause schweben. Messiaen kann man mal machen.

Cello

Rembeteko – griechisches Haschisch und türkische Melodien

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Im Schlafzimmer von ElGreco und seiner Frau steht ein schwarzes Zelt. Niemand darf sehen, was sich in diesem Zelt befindet. Ihr kleiner Sohn betritt das Schlafzimmer der Eltern nie.

Bei Cannabis-Kultur mit eigener Musik, Kleidung, Sprache und Umgangsformen denkt jeder sofort an Hippies aus Kalifornien oder Rastafari aus Jamaica. Kaum jemand aber weiß, daß wir in Europa auch eine ureigene, musizierende und kiffende Subkultur haben. Und zwar die Rembetes, Liebhaber des griechischen Rembeteko. Gesprochen „Rebeteko“, ohne m, das m ist nur dazu da, damit das b nicht wie v ausgesprochen wird. „Rembetes“ heißt wohl so etwas wie die „Ausgestoßenen“ oder „Verlierer“, heute würde man sie vielleicht Gangster nennen. Der Rembeteko ist ihre Musik.

Die Musik klingt sehr exotisch, eine Mischung aus Sirtaki und diesen türkischen Schmachtfetzen, wie sie hier in Moabit und im Wedding gern aus dunklen BMWs tönen. Aber sehr viel „erdiger, wie ein Folk-Enthusiast sagen würde. Manchmal kann ich Rembetika sogar völlig nüchtern eine ganze Weile anhören. Es ist Haschischmusik, man läßt sich bekifft von den Hüften einer Bauchtänzerin hypnotisieren, nur um zu merken, daß die virtuos tanzenden Finger des Bouzoukispielers grade viel interessanter sind. Rembeteko eignet sich auf jeden Fall überhaupt nicht zum versoffenen Balzen. Tatsächlich ist der bekanntere Sirtaki wohl die alkoholtaugliche Variante, die Schlager-Version des Rembeteko. Der echte Rembeteko aber lässt keinen im Kreis tanzen, er träumt und trauert.

(Wer passende Begleitmusik hören will, der suche sich bei Youtube, Suchwort Rembeteka, etwas aus und lasse es beim Lesen laufen.)

Rembetes feierten wohl erstmals in den 1920er in den Slums von Athen, wo die Vertriebenen der kleinasiatischen Katastrophe gestrandet waren. Mehr als eine Million Flüchtlinge strömten in die wenigen Städte, mit fremder Sprache und fremden Sitten und fremden Liedern. Einzig ihr orthodoxer Glaube machte sie zu Griechen. Vorangegangen war der Völkermord an christlichen Türken während des ersten Weltkrieges. Nach dem Krieg teilten die Siegermächte das Osmanische Reich und richteten rund um Konstantinopel Besatzungszonen ein, Gebiete mit vielen Christen wurden Griechenland zugesprochen. England und Frankreich unterstützten diesen griechischen Anspruch. moralisch, aber nicht militärisch. Immerhin drei Jahre lang versuchten griechische Truppen kleinasiatische Siedlungsgebiet rund um Smyrna zu erobern. Beide Seiten sparten nicht an Massakern, aber 1922 brach die Front zusammen und die Türkei vertrieb kurzerhand alle überlebenden christlichen Griechen. Die große Idee griechischer Nationalisten endete in der kleinasiatischen Katastrophe. Statt des großen Reiches drängten sich die Christen nun alle im kleinen Griechenland. Deren türkische Kultur aber, ihre Musik, ihre Kleidung und ihr Haschisch verstieß nun gegen Griechische Staatsdoktrin. Denn das Nationalgefühl bestand nun darin, alles türkische zu hassen. Die für den Krieg verantwortliche Regierungsmannschaft wurde fix abgeurteilt und erschossen. Türkisches, das sich nicht ausmerzen ließ wird noch heute mit orwellscher Sturheit umbenannt. Mokka, den auch Griechen gern trinken, heißt natürlich griechischer Kaffee. Für einen Griechen war klar, Kiffer gehören eingesperrt, denn sie machen etwas türkisches. Und das, obwohl Griechenland das einzige Land auf dem europäischen Festland war, welches offiziell Haschisch produziert hat.

Das sind alles Gerüchte und Träume bei merkwürdig fremder Musik. Griechenland ist mir fern. Angeblich basiert unsere Kultur auf deren Wissen. Ich glaube aber, das ist eine Phantasie, entstanden in der Renaissance, die für alte Steine eine nekrophile Besessenheit entwickelte, die ausgebleichten Skelette von Tempeln und Statuen verehrend. Das knöcherne Weiß priesen sie als Farbe der Reinheit und Unschuld, wo die Akropolis doch in Wahrheit orientalisch bunt gewesen ist. Das echte Griechenland dämmerte da längst als osmanische Provinz vor sich hin. Und die Wiege unserer Kultur, wo sich die Völker mischten, wo die Prinzessin Europa am Strand von ihrem Stier träumte, ist 1922 zusammen mit Smyrna verbrannt.

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Im schwarzen Zelt gedeihen grüne Pflanzen. ElGreco und seine Frau ziehen sie groß und ernten sie. Auch seine Eltern, die Großeltern seines Sohnes mögen die Pflanzen gerne.

Zwischen den Geschlechtern

Es gibt wohl gute europäische Bücher über Türken, Griechen, Haschischrausch und Flüchtlingskrisen. Ich brauchte aber eines aus Amerika. Wer wissen will, was es mit Asien und Europa, Griechenland und der Türkei auf sich hat, der lese „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides. Ich glaube ohnehin, der bessere europäische Familienroman ist ein amerikanischer. Nur aus der großen Distanz wird deutlich, wie sich auf unserem kleinen Kontinent die Völkerfamilien drängen wie Parteien in einem Mietshaus. Man redet nicht mehr als das nötigste miteinander, weil alle den Schein waren wollen und vor allem, weil niemand die alten Wunden aufreißen will. Denn kaum eine Wohnung, wo nicht eine Vertriebene Großmutter aus dem Fenster in die verlorene Heimat stiert, wo nicht ein Elternteil den Gang zum Briefkasten fürchtet, weil keine Nachricht von den verlorenen Kindern kommen wird, die den Familiennamen abgelegt haben, als sie dem kleinen Haus den Rücken kehrte und ins Land ihrer Träume zogen.

Middlesex also von Eugenides. Der Titel klingt etwas schlüpfrig und das ist auch genauso gemeint. Hauptfigur ist ein Zwitter, ein Mädchen, das sich während ihrer Pubertät in einen Jungen verwandelt. Wahrscheinlich ist es kein großes Buch, zu schrill, zu unterhaltsam, zu flüssig lesbar und vor allem zu gut verkauft. Ob es nun seines Pulitzerpreises würdig ist, interessiert mich nicht. Ich lese zur Unterhaltung, und es hat mich gut unterhalten und dabei noch für historische Themen sensibilisiert.

Eugenides also erzählt das Märchen von Teresias, dem Seher, der zwischen den Geschlechtern wandelte. Das Mädchen mit dem Penis ist ein Enkelkind der kleinasiatischen Katastrophe. Die Großeltern bringen die Seidenraupenzucht nach Detroit, derweil ein konvertierter Moslem in den USA nicht nur bürgerkriegsähnliche Zustände, sondern einen richtig echten Bürgerkrieg vom Zaun bricht, der noch heute tobt. Dazu kann man natürlich auch Motown hören, wenn man griechisch-türkische Folklore nicht mag. Der würde besser zum Cadillac der amerikanisierten Familie passen. Derweil hockt der Großvater in seinem Keller, raucht Haschisch und hört Rembeteko.

Bitte hört hier nicht auf zu lesen. Um im Blog nur die besten Informationen und wirksamsten Ideen zu liefern, haben wir den Text zur Korrektur an unser Redaktionsbüro in Griechenland geschickt. Nach ausgiebigster Recherche bekamen wir die folgenden Hintergrundinformationen und Richtigstellungen unserer bekifften Pauschalisierungen über einen Konflikt, bei dem um korrekte Deutung immernoch vehement gestritten wird. Deshalb stellen wir beide Texte unverändert einander gegenüber. Nach dem Bild geht es weiter.

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ElGreco ist Deutscher. Er hört gern deutschen Hip Hop, während der Ventilator summt und die Abluft über einen Duftfilter abgeleitet wird. Seine Eltern aber sind Griechen. Sein Vater hört gern Rembeteko, das hat er wiederum von seinen Eltern, die nach Griechenland flüchten mussten, ohne ein Wort Griechisch zu können,

Von den Korrespondenten aus Griechenland:

„Die Musik klingt sehr exotisch, eine Mischung aus Sirtaki und diesen türkischen Schmachtfetzen, wie sie hier in Moabit und im Wedding gern aus dunklen BMWs tönen.“
Also für meine Ohren klingt die Musik natürlich überhaupt nicht exotisch, denn sie wird mit Hingabe von Generation zu Generation gespielt und geliebt. Aber das ist natürlich Geschmackssache.

Dass es eine Mischung aus Sirtaki und türkischen Schmachtfetzen sei, ist allerdings auch historisch falsch. Sirtaki ist ein Tanz, der für den Film Alexis Zorbas bzw für Antony Quinn erfunden wurde und kein traditioneller Tanz. Sirtos („gezogen“) nennt man die langsamen Kreistänze, die auf allen griechischen Inseln und auch auf dem Festland bekannt sind und bei dem sich die Tänzer an der Hand halten, während ein wechselnder Vortänzer oder eine Vortänzerin – durch ein Taschentuch – den Kreis mit besonders kunstvollen Figuren anführt.

Die Rembetika-Musik hat ihren Ursprung in Kleinasien – nicht in der Türkei, die im Zuge der Vertreibung und Ermordung anderer Völkerschaften (insbesondere der Griechen und Armenier) erst 1923 gegründet wurde. Vorher war es das Osmanische Reich – ein Vielvölkergemisch. Rembetika ist ein Stück kleinasiatischer Kultur, die eine Mischkultur war.

„Der echte Rembetiko aber lässt keinen im Kreis tanzen, er träumt und trauert“. So ist es. Bauchtänze gehören nicht dazu. Wenn getanzt wird, dann von einzelnen Männern, immer nur von einem, der mit ausgebreiteten Armen und zur Erde geneigtem Kopf seine komplizierten Figuren tanzt, während die anderen ihm kniend zuklatschen. Warum diese Haltung? Ursprünglich entstand der Tanz wohl in den osmanischen Gefängnissen, beim Rundgang im Viereck des Gefängnishofes. Richtig getanzt, fühlt man dies noch heute. Es ist der Tanz eines Menschen, der umsonst seine Flügel ausbreitet, träumend von dem Flug in die Freiheit. Die Musiker sitzen nebeneinander, aufgereiht und bewegungslos. Außer dem Buzuki gehören Geige, Baklama, Gitarre u.a. zum Ensemble
Rembetes feierten wohl erstmals in den 1920er in den Slums von Athen, richtiger: in Piräus und Saloniki. Ab 1923.

Einzig ihr christlicher Glaube machte sie zu Griechen… Das ist nicht korrekt. Die Entwurzelten waren kleinasiatische Griechen, nicht Türken christlichen Glaubens (s.o.).

Es gab die direkt Vertriebenen und es gab die Ausgetauschten. Es gab Ausgetauschte, die hauptsächlich die Sprache ihres Herkunftsgebietes sprachen (z. B. die türkischen Kreter und die Griechen aus Kappadozien) und die danach tatsächlich in sprachfremdem Gebiet überleben mussten. Das trifft aber keinesfalls für Smyrna (heute Izmir) und andere kleinasiatische Küstenstädte zu, auch nicht für die Schwarzmeergriechen (Ponti), deren griechische Kultur viel höher entwickelt war als die der Griechen des neuen griechischen Staates.

Vorangegangen war der Völkermord an christlichen Türken Du meinst offenbar den Völkermord an den Armeniern. Wie oben schon gesagt: Sie waren keine Türken, nicht einmal der Staatsbürgerschaft nach, die es im Osmanischen Reich nicht gab. Sie bildeten eine nicht-türkische Volksgruppe mit besonderen Rechten und Pflichten, von denen es im Osmanischen Reich viele gab. Im neutürkischen Staat gibt es immer noch große nicht-türkische Minderheiten, z. B. die Kurden, die damals von der Vertreibung der Armenier und Griechen profitierten, dann aber sehr bald selbst Opfer von Verfolgung wurden. Auch die Araber, die Aramäer etc sind nicht-türkische Minderheiten. Richtig ist, dass Kemal Atatürk ihnen ihren Minderheitenstatus, der im Osmanischen Reich üblich war, wegnahm, sie wurden zwangsweise türkisiert).

England und Frankreich unterstützten diesen griechischen Anspruch moralisch, aber nicht militärisch. Immerhin drei Jahre lang versuchten griechische Truppen kleinasiatische Siedlungsgebiet rund um Smyrna zu erobern. Smyrna und das Gebiet drumherum wurde aufgrund von Verhandlungen zwischen den Siegermächten und der griechischen Regierung unter Venizelos unter griechische Administration gestellt. Das Stadtgebiet wurde fast nur von Griechen, das Umland aber vorwiegend von Türken bewohnt, die in der Gesamtbevölkerung leicht überwogen. Vorgesehen war, nach einigen Jahren ein Plebiszit abzuhalten, von dem abhängen würde, ob Smyrna und Umgebung dauerhaft zu Griechenland kommen würde. Deshalb machte die griechische Administration eine möglichst türkenfreundliche, versöhnliche Politik, die den griechischen Smyrnioten und insbesondere ihren Kirchenführern ein Ärgernis war. Als nach Wahlen in Athen Venizelos durch die Königstreuen abgelöst wurde, änderte sich das internationale Spiel: der König war ein Schwager des deutschen Kaisers. England ließ daher Griechenland fallen und setzte auf die jungtürkische Karte. Die königstreue Regierung in Athen schickte daraufhin die Armee nach Smyrna, die sogar versuchte, bis nach Ankara zu marschieren. Dieser Kriegszug war verheerend schlecht geplant und brach zusammen. Chaos, Plünderungen, Massaker….Die Folge war dann die „kleinasiatische Katastrophe“, durch die das Griechentum, das dort seit 3000 Jahren siedelte, vollständig entwurzelt wurde.

Und die Wiege unserer Kultur, wo sich die Völker mischten, wo die Prinzessin Europa am Strand von ihrem Stier träumte, ist 1922 zusammen mit Smyrna verbrannt. Dem kann ich zustimmen. Den Ausführungen davor: nun, so und so. Die Renaissance Italiens ist tatsächlich zuerst durch die Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer und Venezianer 1204 (seine Kunstschätze zieren heute noch Venedig) und dann wieder durch den Fall von Konstantinopel durch die Osmanen 1453 in Gang gesetzt worden – und zwar durch die griechisch sprachigen Gelehrten und Künstler, die in Italien eine neue Heimat suchten. Beispielsweise wurde in Venedig der Buchdruck durch Griechen aus Konstantinopel eingeführt….

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Alle Bilder freundlicherweise zur Verfügung gestellt von ElGreco.

Text zur Nacht REMIX: Draußen vor der Tür

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„Ich bin froh wenn ich drin bin“, raune ich. „Dieses Anstehen kotzt mich immer total an.““
Sierra: „Ja, Türstehersituationen regen mich auch immer auf. Und dann diese Kerle, die sich wichtig vorkommen, weil sie auf der GÄSTELISTE stehen.“ Er schüttelt den Kopf, äfft einen Proll nach: „Hey, ich kenn‘ den Türsteher. Höhö! Kein Mensch würde sich für Typen wie motherfuckin‘ Türsteher interessieren. Nur weil sie diesen Job haben, kommen sie sich toll vor. Wie bei der Bundeswehr, lauter elende Persönlichkeiten.““

Ich nicke. Ich bin niemals von einem Türsteher abgewiesen worden. Vielleicht, weil ich sehr deutsch aussehe. Vielleicht, weil wir oft total verfrüht in einen Club gehen, wegen der langen Anreise, oder, weil wir dann sicher reinkommen; wenige Türen werden mit der Nacht leichter.

Einmal kam ein Kollege nicht ins Ultraschall in München, weil er mit seinen Schwarzlochaugen einfach zu druffgeschossen aussah. Das war er natürlich auch. Aber gerade das Schall! Diese längst geschlossene Kultinstitution des zerebralen Rausches, wo Techno auf seine Art mit geformt wurde. Zwar nur als bayrischer Ableger, sozusagen Trabantenstadt von Berlin/Frankfurt. Aber genau dort (ja GENAU hier!) hieß es: Sorry! So nicht.“
Nach meinen naiven Vorstellungen sollten Technoclubs ein Zufluchtsort für alle Druffis sein – wo denn sonst, wenn nicht hier? Hier, wo Drogen zwar auch Asozialität und Kaputtness transportieren, aber grade weil man irgendwann total endfertig und glücklich auf einem Sofa sitzt, in der Ecke liegt oder auf der Tanzfläche johlt. Ein Auffangbecken also für alle Verlorenen, Gestrandeten, Verirrten und ihre Freunde.
Wo wenn nicht hier? Und wer, wenn nicht wir?

„“Manche lassen Einen dann doch rein, wenn man betrübt und aussortiert in der Ecke steht“, fährt Sierra spuckend fort, „weil die Mit-leid bekommen. Drauf geschissen auf ihr Mitleid.““
„“Mitleid würdigt Menschen herab.“ nicke ich.
„“Nee mein Freund. Türsteher würdigen Menschen herab. Das hat Techno nicht verdient. Klar, keiner will mit jedem Deppen herumhängen, aber den Faschismus der Coolness kann man auch anders angehen. Wobei: Gegen gute Security hat kein Mensch was. DAFÜR bezahle ich auch. Aber nicht für Selektion.“

Und dann sind wir da. In einem schmucklosen Hausdurchgang versteckt sich die Registratur, mitten im Wohnviertel. Noch in München, aber man fühlt sich wie in einem Vorort. Die Schlange der Wartenden ist weder lang noch kurz. Wir stellen uns an. Brav wie wir sind. Vor uns neben uns, neben und hinter uns die Nachtmenschen. Und natürlich ein paar Trottel die sich vordrängeln.

Noch. Hören wir nichts von der Nacht. Noch. Schweigt der Bass, doch sein Versprechen liegt in der Luft. Herrlich die Anspannung und Aufregung in meinen Fingerspitzen.

„Die Szene hat sich ganz schön verändert“, stellt Sierra fest, als er die Leute begutachtet.
„“Ist ja auch Electro, nicht Minimal“, merkt der schlaue Andi an. Doch Sierra schüttelt nur den Kopf: „Yo, aber das ist es nicht. Bei Electro wird zwar mehr gesoffen und ganz anders gedanct, aber mir fehlt die Drogen- und Feierkultur. Wisst ihr, FRÜHER lagen in der Chilloutzone immer Feierzerstörte, druff wie ein Scheißhaus, aber glücklich. Unerträglich glücklich manchmal, besonders, wenn man selber NICHT druff ist, aber die Menschen waren befreiter.“
„“Es werden halt weniger Drogen genommen“, füge ich hinzu. Auch das lässt Sierra, mit Kippe im Maul, nicht gelten: „Schon noch, aber weniger exzessiv. Früher hieß der Schlachtruf: Abfahrt! Jetzt gibt es keine Abfahrt mehr. Entweder du bist in Berlin, wo das ganze Wochenende auf dem gleichen Level, permanent zerstört, gefeiert wird. Ich weiß, du findest Minimal langweilig.“ Sagt er zu mir. „ODER du bist im Rest der Republik unterwegs, wo selbst Techno politisch korrekt geworden ist. Es darf NUR NICHT AUFFALLEN, dass man druff ist. Das ist nur noch ein Witz. Erst haben wir unsere Freiheit in Clubs und Raucherzonen verlegt und dann schämen wir uns dafür, wenn wir in diesen Freiheitsbereichen unterwegs sind.“ (Merke: „Unterwegssein“ ist ein Wortspiel für Dichtsein)
„“Möglich“, zucke ich die Schultern, „vielleicht liegt es auch am Minimal. Zu extremer Musik muss man sich extrem zerstören. FRÜHER war die Musik extrem.“
Andi: „Das glaubst doch selbst nicht.“…
Noch mal Schulterzucken. „Nö, aber ich finde Minimal langweilig.“
Andi: „Und Electro ist Kirmestechno.“
„Das würde ich nicht bestreiten.…“

Die Schlange trottet voran. Und dann geschieht genau das, was wir vorhin so niedergelabert haben. Manchmal füllt man die Klischees, die man ablehnt, ziemlich schnell selbst aus.

„“Dünnsack? Bist du es?“ ruft es von den Türstehern.
„“Hm?“ Andi dreht sich chemikalisch verstört um und blickt in jede Richtung, außer dahin, wo die Frage herkam. Ich nicke Andis Blick zu den Türstehern. Er guckt hin, lacht ein Lächeln und geht nach vorne. Die Fäuste des Securitys und des Gastes treffen sich. Irgendwas wird gesprochen. Dann werden wir zu ihnen gewunken. Auf die uncoole, trottelige Art. So wie Kinder winken würden, was nicht einer gewissen Sympathie entbehrt. Die Andi-Art also.
„“Ihr seid die Freunde vom Dünnsack?“ fragt uns der bullige, kleine Türke an der Tür. …
Sierra und ich: „Öh“
Der Türsteher: „Ihr könnt auch umsonst rein. Dünnsacks warme Freunde sind auch meine Freunde.“

Vielleicht. Hat Sierra es überhört. Dieses Warme. Vielleicht wollte er es überhören. Ich aber: „Wen nennst du hier warum warm?“
Nebenbei: Ich habe kein Problem, wenn mich jemand für schwul hält. Das kommt nicht zum ersten Mal vor, ich habe mir angewöhnt, das als Kompliment zu sehen. Denn. Im Regelfall werden nur gepflegte Männer mit einer gewissen Goodlooking-Ausstrahlung für homosexuell gehalten.
„Nun ja,“ meint er von unten zu mir mit seinem deutlichen Akzent, „du hängst mit dem Dünnsack rum. Ich sehe dich. Sehe ihn. Da zähle ich Eins und 1 zusammen.“ Er grinst dabei.

Ich kratze mich mit einem Finger an der Wange, lasse meinen Blick kurz nach oben wandern, dann: „Ich habe eine Freundin. Die ist Prostituierte.“…“
„“Wundert mich nicht.““
Wir Beide: BLICK.
„…“Und die erzählte mir mal, dass unverheiratete, strenggläubige muslimische Männer zu ihr ins Bordell kommen. Erst dachte ich, damit sie dort die Nutten knallen, aber weit gefehlt. Nein.“ Ich lege eine kleine affektierte Kunstpause ein. „Meine Freundin wird dafür bezahlt, dass sie sich einen Gummidildo umschnallt, um es den osmanischen Brüdern von hinten zu besorgen weil… Das nicht gegen den Glauben verstößt…“ Noch mal eine Pause. Wir sehen uns an. Ich ihn von oben. Er mich von unten. Beide legen wir einen coolen Machoblick hin. Dann. Lächeln wir. „Also“, beginne ich wieder, „ich kenne diese Geschichte. Und ich sehe dich, ich zähle 1 und Eins zusammen, und…“
Den Satz lasse ich offen stehen. Wie meinen Mund und fahre mir mit meiner Zunge von links nach rechts darüber und grinse: „Hm!“
Wir: Grinsen uns an.
„Wie heißt du?“ nickt der Türsteher mir zu.
„“Fleming.““
„“Und mein Name ist Taylan.“ Er reicht mir die Hand. Ich nehme sie. „Du scheinst in Ordnung zu sein. Mumm zu haben. Respekt kann man sich verdienen. Was hängst du mit so einem Typen wie dem Dünnsack herum?“
„“Ganz einfach. Er ist ein Freund.“
„“Wirklich?“
Wir sehen Beide zu Andi und Sierra hinüber.
„“Schätze schon. Zu Freunden steht man, egal wie kaputt sie sind.“
„“Ich hoffe mal, Fleming, dass du dich nicht täuschst. Habt noch viel Spaß heute Nacht.“
„“Ich danke dir. Wir sehen uns.“
„“Bestimmt. Man sieht sich immer zwei Mal im Leben.“

(Redaktionelle Anmerkungen und Nachweise: Diese Szene stammt von gegenvernunft, es handelt sich um einen Remix der Blogbeiträge „Text zur Nacht“ 104, 105, 106 und 107. Die Redaktion von meinedrogenpolitik bedankt sich herzlich für diesen Beitrag zu unserem Pillen-September.
Der Blog Strategien gegen Vernunft handelt von Literatur und elektronischer Musik. Wer wissen möchte, wie die Partynacht begann, sollte den Ur-Text zur Nacht lesen.
Die Textbearbeitung und das Foto sind von Alice Wunder. Die Zeichnung stammt aus einem Film von Mamoru Oshii, noch bis zum 16. Oktober 2016 zu sehen in der Tchoban Foundation, Museum für Architekturzeichnung, Berlin.
)

MORD AUF KOKS – Little Sadie und Bad Lee Brown

Neulich terrorisierte ich meine Nachbarn mit diesem gut 100 Jahre alten Liedchen. Es erzählt, wie Herr Brown aus North Carolina, USA, seine Freundin Sadie erschießt und im Knast landet. Die Figur des Mörders ist wohl ursprünglich als Psychopath angelegt. Solche krankhaft bösen Charaktere hatten in der Popkultur der 30er Jahre Hochkonjunktur. Und weil’s keine Fernseher gab, mussten sich die Leute eben vorm Radio bei merkwürdiger Musik gruseln. Viele Suchtmittelexperten Musiker glauben inzwischen, Lee Brown war nicht etwa ein böser Mensch, sondern vielmehr massiv kokainsüchtig. Die moderne Version des Superschurken eben. Ich mag die Melodie, die altertümliche dorische Modal-Tonart führt in eine Schattenwelt nirgendwo zwischen Dur und Moll.

WARNHINWEIS: Menschen mit einer Unverträglichkeit gegen irisch-amerikanische Volksmusik sollten dieses Video AUF KEINEN FALL anklicken.