Party
MDMA löst keine Beziehungsprobleme
Als ich, verhältnismäßig spät in meinem Leben, MDMA probierte, waren die Erfahrungen zwar angenehm, aber trotzdem überhaupt nicht schön.
Ich saß in einem Zelt, ein guter Freund hatte mich mitgenommen auf ein Goa-Rave, irgendwo in den Wäldern. Dort war auch eine Freundin von ihm, die ich noch nicht kannte. Wir drei hatten die selbe Menge eines weißen Pulvers geschluckt, das als reines MDMA gehandelt wurde, die Qualität war gut. Unter dem Einfluss der Droge nun besprachen die beiden ihre emotionalen Probleme, die sie miteinander pflegten. Sie hatten wohl mal eine Affäre gehabt, die war aber lange vorbei. Die Frau hatte inzwischen Probleme mit psychotischen Symptomen bekommen.
Ich glaubte, ich sähe die Emotionen zwischen ihnen
Alles berührte mich zutiefst. Was ich nun zwischen den Beiden sah, entsetzte mich, denn er behandelte sie schlecht. Unabsichtlich zwar, aber trotzdem nicht schön. Sie war in ihn verliebt oder glaubte das. Er hielt sie auf Abstand und tat gleichzeitig fürsorglich, mit der Schamanenattitüde des Drogengurus. Was er in meinen Augen unabsichtlich falsch machte, war, nicht zu beachten, was professionelle Therapeuten Abgrenzung nennen. Sie beide versuchten etwas, was unmöglich gelingen konnte.
Von dem Gebrauch von MDMA zur Psychoanalyse hatte ich da noch nie gehört. Vielleicht hatten sie sich zu so einer versuchten Psycholyse verabredet. Ich glaube aber, dann hätte er mich schon vorher informiert. Ich glaube eher, dieses Urteilen und Analysieren ist eine Dynamik, die speziell von dieser Droge und dem Umfeld stark gefördert wird. Die Wirkung hat Ähnlichkeiten mit Pilzen und LSD, aber einen deutlich eigenen Charakter. Pilze kommen viel mehr in Wellen, überwältigen, daß ich vor Schreck und Bewunderung alle Alltagsgedanken hinter mir lasse. Ein Pilztrip ist eine lange Wanderung, ein anstrengender Aufstieg und eine wilde unkontrollierte Abfahrt gleichzeitig. Das kulminiert in einer Art göttlichen oder vielmehr natürlichen, tierischen Liebe. Alle Aspekte des Lebens, Freude und Leid, Geburt und Tod werden empfunden und sind gut. LSD war ähnlich, aber umfassender, wie der gewaltige Ozean, zum Bewundern und Verschmelzen.
Auch MDMA ist sehr stark psychedelisch
Man wird mit Macht ins „andere Land“ befördert. Beim MDMA aber war es so, als würden mich ein vollklimatisierter Bus und eine moderne Kabinenseilbahn zu dem wilden schönen Ort fahren. Dort steht dann ein bequemer Tisch mit klarem Wasser und nahrhaftem Brot. Kein Zwang, kein Drang, zu tanzen, wie das von manchen Tablette mit ungewissem Inhalt kommt, keine Zappeligkeit, die ich von Ephedrakraut kenne. Nur der ruhige, klare Ort, wie geschaffen dafür, daß sich Herz, Verstand und Seele gemeinsam niederlassen, in Ruhe und der Reihe nach ihre Angelegenheiten besprechen und immer nach angemessener Zeit zu einem harmonischen Beschluss kommen.
Mein Beschluss betraf dann meine Freundschaft zu dem Menschen. Der der musste dann noch gären. Ich wusste und hätte mir zu diesem Zeitpunkt eingestehen müssen, daß die Freundschaft zerbrochen war. Aber die Erkenntnis ließ ich nicht zu und habe es dann ziemlich ungeschickt ausklingen lassen. Es hatte wohl viel mit meinen Vorurteilen zu tun, die ich mir nur schwer eingestehen konnte. Ich mochte seine Lebenseinstellung nicht, aber habe sein Leben lange und neugierig Beobachtet. Der erste richtige Hippie, den ich kennenlernte, hauptberuflicher Kräutergärtner, nebenberuflich Schamane auf Goa-Partys.
Sicher, ich fühlte mich nicht ganz wohl auf dem Rave. Nicht meine Welt, nicht meine Menschen. Wahrscheinlich war es mein persönlicher Entschluss, daß ich mich nicht in Trance tanzen konnte. Was ich wiederum für eine Eigenschaft der Droge halte: Sie ließ meinem Willen viel mehr Freiheit als Pilze oder Aufputschmittel. Irgendwann tags zog ich mich zurück, in der Umgebung gab es einen kleinen Bach. Dort stapelte ich flache Steine zu Türmen. Sonnenstrahlen, die durch die Bäume fielen, machten daraus einen Tempel. Andere kamen von der Party, sie sahen, was ich sah und sagten mir das. Ich war ein wenig stolz, aber mit dem Darübersprechen war für mich der Zauber gebrochen.
Ich nahm nicht mehr oft Extacy
Den Zauber und die ruhige, liebevolle, aber klar urteilende Einsicht in meine Gefühlswelt erfuhr ich nicht mehr. Es war ein Werkzeug, um die Stimmung für eine durchfeierte Nacht stabil zu halten. Aber ich hatte keine Zeit und wenig Gründe mehr zum Feiern gehen. Das letzte Mal nahm ich Extacy in einem sogenannten Hedonisten-Club. Eine Party mit anregender Progressive-Musik. Eine Freundin nahm mich mit, sie ging da gern hin, weil sie da nicht komisch angemacht wird. Da saß ich also und unterhielt mich nett mit einem jungen Mann, der zwei Mädchen an der Leine führte. Die demonstrierten, daß sie keine Unterwäsche trugen. Er fragte, wie es mir in ihrem Wohnzimmer gefiele. Da merkte ich, ich bin nicht zu spießig für Drogen und nackte fremde Leute im Wohnzimmer. Ich bin aber viel zu spießig für Wohnzimmerpartys, die regelmäßig erst nach 3 Uhr morgens stattfinden. Nachts schlafe ich einfach viel zu gern.
Wenn Wände reden könnten
Mit Mitte zwanzig nahm ich zum ersten Mal chemische Drogen. Es gab eine Party bei der Schwester des Zauberkollegen. Die wohnte in einer Art Kommune in einem besetzten Haus in den Niederlanden. Es ging nicht explizit um Drogen, aber die waren geduldet. Ich glaube, die Holländer hatten ihre wilden Jahre schon in der Jugendzeit und fanden es ganz niedlich, wie wir uns für so etwas normales begeistern konnten. Es gab ein Tipi im Garten und einen ordentlich beschallten Gemeinschaftsraum. Zur Vorbereitung besuchten wir den örtlichen Smartshop. Ich hatte vorher eine äußerst interessante Kräutererfahrung gemacht und wollte gern ähnliches erleben. Der Verkäufer wirkte extrem kompetent. Er sah aus wie Guildo Horn und sprach Deutsch wie Rudi Carell. Er holte ein Päckchen mit vier blauen Tabletten aus seinem Regal. Eine halbe für angeregtes, ausdauerndes Tanzen. Zwei ganze für mystische Erlebnisse. Es wird so eine Art Legal High oder Research Chemical gewesen sein. Was genau, interessierte mich nicht. Der Verkäufer sagte, alle seine Produkte seien ausgiebig auf Unbedenklichkeit getestet: Wir schicken ein paar Astronauten in die Berge, die sollen sich bis zu 10 Teile reinpfeifen und wenn alle gesund wiederkommen, geht das in den Verkauf. Ich hielt das für ein sehr überzeugendes Sicherheitskonzept, folgte brav den Anweisungen und nahm zwei ganze Tabletten. Zuerst war ich extrem agitiert, ich lief planlos in der Gegend herum und fühlte mich überall fehl am Platze, konnte mich nicht in Gespräche integrieren. Irgendwann blieb ich auf der Tanzfläche. Was für Musik lief war mir reichlich egal. Solange ich mich dazu bewegen konnte, ging es mir gut. Ziemlich bald setzte ein mystisches Erlebnis ein. Die längsseitige Wand gegenüber der Fensterfront hielt mir einen Vortrag über Betriebswirtschaft. Sie übermittelte mir damit eine wichtige Botschaft und hielt mich effektiv davon ab, eine kriminelle Karriere als Cannabis-Dealer zu beginnen. Ich besaß damals einen kleinen Vorrat von ziemlich hochwertigem Gras von einem befreundeten Kleinbauern, der damit tatsächlich seinen Lebensunterhalt bestritt. Der Preis war so hoch, daß ich nur mit sehr schlechtem Gewissen da noch ein Marge hätte draufschlagen können, zumal ich nur im engen Freundeskreis verkaufen wollte. Der Bauer nun kam mit dem erwirtschafteten Geld so grade eben über die Runden, da die Liefermenge knapp bemessen war. Die Wand setzte mir auseinander, weitere Geschäfte mit diesem leckeren Grün seien blödsinnig. Da ich sowieso keine Geldsorgen hatte, solle ich es genießen und im Zweifelsfall großzügig teilen. Das alles fand ich richtig. Danach setzte mein Verstand aus, ich hatte einen Filmriß und die nächsten ein bis zwei Stunden verbrachte ich in tanzender Bewußtlosigkeit. Als ich wieder zu mir kam, stützten mich rechts und links je ein Holländer, wir tanzten als letzte im Saal eine Art Kasatschok zu einem wirklich ganz extrem peinlichen Schlager, über den ich hier nicht weiter sprechen möchte. Sie sollten mich wohl schonend aus dem Saal dirigieren, damit der DJ Feierabend machen konnte. Mir war das sehr unangenehm. Ich scheine aber niemand belästigt zu haben, denn im nächsten Jahr wurde ich wieder eingeladen.

Manche Wände haben Ohren. Wenn sie aber zu reden anfangen, sollte man ihre Ratschläge lieber erst mal mit dem zuständigen Tablettenhändler besprechen.
Und Ende
Der Sound zum Text (Warnhinweis: Menschen, die gegen elektronische Musik eine angeborene Abneigung empfinden oder erworbene Vorurteile pflegen, sollten das verlinkte Musikstück auf gar keinen Fall anklicken.)
Punkt. Jetzt is‘ wohl Schluss. Immer ein trauriger Moment, man wünscht sich zurück, zur allerersten Pille, zurück zu den großen Bassboxen, zwischen die kunterbunten Menschen, zurück in die andere Welt, die vollkommen großartig ist. Naja, es gibt Schlimmeres. Eigentlich darf man sich nicht beklagen, wenn man sich den Luxus leisten kann, für 15 € Eintritt gemeinsam Musik zu zelebrieren. Und den übermäßigen Konsum gewisser Rauschmittel. Rein evolutionsbiologisch ist das alles Andere als lebensnotwendig.
Schluss mit Philosophie. Geht auch gar nicht mehr. Nur noch die harten Fakten: die Pillen. Davon habe ich mir seit Freitagabend so 5 Stück gegeben. Was sehr viel ist für mich. Das hätte ich mir vor ein, zwei Jahren nicht zugetraut. Hätte es für meinen sicheren Tod gehalten, oder zumindest die Einweisung. Aber mit regelmäßigem Konsum steigt die Toleranz. Wo anfangs ein Viertel reicht, brauch ich heute eine Ganze für denselben Effekt. Aber wenn der dann da ist, ist es einfach göttlich. Deine optische Wahrnehmung verändert sich, das Bild zittert. Du spürst, erst ganz leise, dann immer aufdringlicher dieses Gefühl in der Brust anfluten, diese vollkommen unbegründete Glückseligkeit. Alles wird dumpf, du hörst wie durch Ohrenwärmer, reagierst langsam. Und irgendwann kommt der Moment, da wird plötzlich alles bewusst, du spürst die Lähmung, wie du immer doofer wirst, das Teil haut rein. Doch bald verschwindet der Matsch in deinem Hirn. Löst sich auf in absolut klare, unmissverständliche Freude und unaufhaltsamen Tatendrang. Du beginnst, wirklich darauf zu scheißen, was andere denken. Du mußt einfach aufspringen, stürzt dich in die Musik, tanzt und tanzt und tanzt… bewegst dich nicht mehr eigenständig, lässt deinen Körper machen, was sich gut anfühlt, versinkst im weichen, harten, perfekten Bass, wirst Eins damit… driftest zwischendurch ab, führst sinnlose Gespräche, umarmst wildfremde Leute… Immer wieder wabern wohlige Schauer über den Rücken, den Nacken hinauf bis über die ganze Kopfhaut, Gänsehaut, mehr davon!
…bis so nach zwei, drei Stunden das nächste Ding geworfen wird. Alles steigert sich, dein Hirn arbeitet auf Hochtouren, pumpt auch die letzten Restchen Serotonin, Noradrenalin und Dopamin in deinen unterversorgten Körper, deine Muskeln und Gelenke leisten Schwerstarbeit und gehorchen dem Rhythmus.
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Tja, und irgendwann ist halt Schluss. Serotonin ist alle. Du kommst nach der Party nach Hause, vollkommen geplättet, egal, noch ne Nase, noch n halbes Teil und ca. 568 neue Projekte anfangen, die nie fertig werden. Ziel ist mittlerweile nicht mehr die Freude, die Extase. Nein, Ziel ist jetzt nur noch, nicht runterkommen, sich irgendwie noch mehr verklatschen.
Ungefähr das ist der Status jetzt. Ich sitze auf der Couch, der Fernseher läuft, ich schreibe meinen Blogeintrag und habe noch den Rest vom letzten Teil liegen. Ich weiß, das wird mich nicht mehr euphorisieren, aber nochmal bisschen matschiger machen.
Die Tastatur fängt an sich zu bewegen. Zumindest haben wir eben was gegessen und natürlich viel getrunken, ansonsten geht’s einem richtig scheiße. Mir geht’s grad ganz gut aber ich kann kaum mehr flüssig tippen. Meine Henkersmahlzeit wartet in Form eines trügerischen Stückchens, der letzte Rest der Extase der letzten Nacht.
Schlaf gut. Ich werd’s ganz sicher!
(Dieser Text erschien zuerst hier auf Libras Blog Self im Mai 2015. Das Foto hat Libra eigenhändig aus dem Internet geklaut.)
Die Fremden

Die Jugend ist die Zeit zum intensiven Lernen und Experimentieren. In der Begegenung mit anderen kann man sich selbst erkennen und sich ein Weltbild formen.
Im absurd großen Park einer mittelkleinen Stadt gab es einmal eine kleine private Party. Ein Bekannter von Freunden legte Musik auf. Sie hatten Plattenspieler unter einem Pavillon, ein leise summender Benzingenerator gab Strom. Ein Sommertag endete beschaulich und ereignislos auf der grünen Wiese. Pünktlich um 22 Uhr kam eine Polizeistreife, ermahnte uns feiernde Studenten routiniert freundlich, die Musik leiser zu drehen. Die Schwester des DJs tauschte mit der Beamtin Telefonnummern. Bei der nächsten Beschwerde könnte man auf dem kurzen Dienstweg Unannehmlichkeiten vermeiden und den Bürgerfrieden wieder herstellen. Aber die Beschränkung störte uns nicht, wir saßen gemütlich beisammen, niemand wollte tanzen oder mehr Bass.
Die Fremden allerdings hätten es gerne lauter gehabt. Fünf oder sechs Jugendliche kamen in der Dunkelheit. Ihrer Sprache und ihrem Gebaren nach kamen sie aus einem der schlechteren Stadtteile. Lärmend stürmten sie unsere kleine Zusammenkunft. Sie wollten die Musik lauter hören und riefen Liederwünsche. Ihr Auftreten hatte durchaus Aggressivität, aber niemand ging darauf ein, wir saßen friedlich und hörten unsere Musik. Irgendwann zogen sie wieder ab, ließen sich aber in der Nähe nieder. So hätte es bleiben können, eine ruhige Gesellschaft im Park. Auf einem kleinen Hügel die Studentenparty mit der Musikanlage, ein paar Meter weiter unten die fremden Kinder auf den Bänken am Teichufer. Bald aber gab es Unruhe, denn die Fremden hatten, wahrscheinlich aus lieber Gewohnheit, den Rucksack der Gastgeber mitgehen lassen. Es gab Diskussionen, auch Verhandlungen wurden aufgenommen und endeten schnell Ergebnislos. Ziemlich bald wurde der kurze Dienstweg beschritten und ein Telefongespräch geführt. Bald begann die Vorführung mit beeindruckenden Lichteffekten. Rechts und links von uns kamen aus der Dunkelheit je ein Streifenwagen mit Blaulicht den Hang herunter, sie rollten über den Rasen auf den Sitzplatz am Teich zu. Die beiden Autos kamen fast synchron und scheinbar Lautlos, die Vegetation des Parks schluckte die Motorengeräusche. Die Musik lief weiter, niemand rannte, niemand schrie. Wer wollte, konnte nun hinunter gehen, und schauen wie die Polizei sich mit den Fremden beschäftigte. Wirklich interessant war das nicht. Die Fremden saßen auf der Bank, die Polizisten standen herum und betätigten sich ordnungsstiftend. Und die Schwester des DJs tratschte mit ihrer neuen, uniformierten Freundin. Dann aber kam Bewegung in die Sache, eine dunkle Limousine rollte über die sanften Hügel, stilecht mit einem einzelnen Blaulicht zum Aufsetzen. Zwei Beamte in Zivil waren extra wegen eines einzelnen Fremden angerückt. Der musste sich gesondert durchsuchen lassen, denn er hatte schwere Verbrechen gegen das deutsche Aufenthaltsrecht begangen. Das erzählte die Polizistin der Schwester des DJs, während sie, auch auf dem kurzen Dienstweg, den Rucksack des Bruders zurückgab. Mit dem enthaltenen Grasvorrat wollte die Polizei sich an diesem Abend nicht beschäftigen. Stattdessen nahmen sie die Fremden mit. Da war die Party vorbei und wir gingen nach Hause.
AW, erlebt irgendwann um das Jahr 2000.