Mit Mitte zwanzig nahm ich zum ersten Mal chemische Drogen. Es gab eine Party bei der Schwester des Zauberkollegen. Die wohnte in einer Art Kommune in einem besetzten Haus in den Niederlanden. Es ging nicht explizit um Drogen, aber die waren geduldet. Ich glaube, die Holländer hatten ihre wilden Jahre schon in der Jugendzeit und fanden es ganz niedlich, wie wir uns für so etwas normales begeistern konnten. Es gab ein Tipi im Garten und einen ordentlich beschallten Gemeinschaftsraum. Zur Vorbereitung besuchten wir den örtlichen Smartshop. Ich hatte vorher eine äußerst interessante Kräutererfahrung gemacht und wollte gern ähnliches erleben. Der Verkäufer wirkte extrem kompetent. Er sah aus wie Guildo Horn und sprach Deutsch wie Rudi Carell. Er holte ein Päckchen mit vier blauen Tabletten aus seinem Regal. Eine halbe für angeregtes, ausdauerndes Tanzen. Zwei ganze für mystische Erlebnisse. Es wird so eine Art Legal High oder Research Chemical gewesen sein. Was genau, interessierte mich nicht. Der Verkäufer sagte, alle seine Produkte seien ausgiebig auf Unbedenklichkeit getestet: Wir schicken ein paar Astronauten in die Berge, die sollen sich bis zu 10 Teile reinpfeifen und wenn alle gesund wiederkommen, geht das in den Verkauf. Ich hielt das für ein sehr überzeugendes Sicherheitskonzept, folgte brav den Anweisungen und nahm zwei ganze Tabletten. Zuerst war ich extrem agitiert, ich lief planlos in der Gegend herum und fühlte mich überall fehl am Platze, konnte mich nicht in Gespräche integrieren. Irgendwann blieb ich auf der Tanzfläche. Was für Musik lief war mir reichlich egal. Solange ich mich dazu bewegen konnte, ging es mir gut. Ziemlich bald setzte ein mystisches Erlebnis ein. Die längsseitige Wand gegenüber der Fensterfront hielt mir einen Vortrag über Betriebswirtschaft. Sie übermittelte mir damit eine wichtige Botschaft und hielt mich effektiv davon ab, eine kriminelle Karriere als Cannabis-Dealer zu beginnen. Ich besaß damals einen kleinen Vorrat von ziemlich hochwertigem Gras von einem befreundeten Kleinbauern, der damit tatsächlich seinen Lebensunterhalt bestritt. Der Preis war so hoch, daß ich nur mit sehr schlechtem Gewissen da noch ein Marge hätte draufschlagen können, zumal ich nur im engen Freundeskreis verkaufen wollte. Der Bauer nun kam mit dem erwirtschafteten Geld so grade eben über die Runden, da die Liefermenge knapp bemessen war. Die Wand setzte mir auseinander, weitere Geschäfte mit diesem leckeren Grün seien blödsinnig. Da ich sowieso keine Geldsorgen hatte, solle ich es genießen und im Zweifelsfall großzügig teilen. Das alles fand ich richtig. Danach setzte mein Verstand aus, ich hatte einen Filmriß und die nächsten ein bis zwei Stunden verbrachte ich in tanzender Bewußtlosigkeit. Als ich wieder zu mir kam, stützten mich rechts und links je ein Holländer, wir tanzten als letzte im Saal eine Art Kasatschok zu einem wirklich ganz extrem peinlichen Schlager, über den ich hier nicht weiter sprechen möchte. Sie sollten mich wohl schonend aus dem Saal dirigieren, damit der DJ Feierabend machen konnte. Mir war das sehr unangenehm. Ich scheine aber niemand belästigt zu haben, denn im nächsten Jahr wurde ich wieder eingeladen.

Manche Wände haben Ohren. Wenn sie aber zu reden anfangen, sollte man ihre Ratschläge lieber erst mal mit dem zuständigen Tablettenhändler besprechen.