Schwarz und stark – Guinness Foreign Extra Stout

Guinness Foreign Extra Stout

Starkes, bitteres Stout ist absolutes Lieblingsbier hier bei uns in der Redaktion. Klar, der erhöhte Alkoholgehalt spielt dabei natürlich auch eine Rolle. Ein Bier mit deutlich über 6 % Alkohol halten wir für drogenpolitisch äußerst wertvoll. Denn wir wollen ja von einem Bier auch etwas spüren, es sollte dabei aber immer gerne nicht viel mehr als ein Bier sein. Wir müssen schließlich auch auf unsere Linie achten. Zum vorsätzlichen Rauschtrinken empfehlen wir, wie schon verschiedentlich erwähnt, richtige Alkoholika. Wer aber einen Pegel halten muss, der trinkt sowieso Wein. Für Weinbesprechungen trinken wir hier aber doch zu wenig, deshalb fehlt uns die nötige Kompetenz zum hochtrabenden Fabulieren.

Wir bleiben daher in unseren Artikeln lieber bodenständig beim Getreidesud.

Ein hoher Alkholanteil im Bier also hat ja neben seiner spürbaren Rauschwirkung zusätzlich den Vorteil, ausgezeichneter Geschmacksträger zu sein. Man braucht das Starkbier nicht wie Wasser zu stürzen, sondern bekommt mit jedem Schluck eine sättigende Fülle an Aromen. Ein Stout nun hat mitunter sehr viele Aromen. Diese sollten aber idealerweise dicht gepackt sein, zu einem befriedigendem Ganzen. Ich denke gern an kräftiges Essen für kalte Tage. So, wie wenn man in einem lange gekochten Eintopf die einzelnen Zutaten ahnt, aber nicht mehr wirklich unterscheiden will. Sicher, auch bei einem Stout könnte ein Connaisseur fabulieren, über Kaffee und Schokolade, Röstgrade und was einem bei der Nichtfarbe Schwarz halt sonst noch so alles durch den Kopf gehen mag. Aber solche Menschen, ich erwähnte es bereits, schreiben eigentlich lieber über Wein. Ich dagegen denke bei einem gehaltvollen Stout schlicht an Schwarzbrot und Teer. Passend dazu fällt mir „Hot Asphalt“ ein, die schöne Ballade über wackere Bauarbeiter, die Landstraßen asphaltierten.

Wer keine Geduld hat, um bis zur Pointe dieses über mehrere Strophen ausgewalzten Schwankes zuzuhören, kann auch die Suchworte „irische Traveller Wallfahrt“ bei Google eingeben und die Meldungen studieren. Die handeln davon, wie irische Zigeuner im Rheinland Marienverehrung betreiben und dabei die Anwohner und Lokalreporter mit Zechprellerei und seriösen Angeboten, Einfahrten zu asphaltieren, unterhalten. Ich glaube, man darf diese fast zur Ethnie geronnenen Nachfahren von Wanderarbeitern Zigeuner nennen, denn es ist ja nicht rassistisch, solange die Zigeuner weiß und Europäer sind. Außerdem ist es für uns als Rheinische Protestanten statthaft, Katholiken zu verunglimpfen. Wir beneiden die Papisten nämlich schrecklich, weil die kein schlechtes Gewissen haben, wenn sie an einem ihrer zahlreichen Feiertage vormittags das Biertrinken anfangen.

Die ganze lange Fabuliererei gilt nun einzig einem Zweck:

Nämlich zum bekanntesten Industrieunternehmen Irlands überzuleiten, der Firma Guinness in Dublin. Deren Standardbier, das Irish Drought, ist uns aber zu schwachbrüstig und wässrig, weshalb es auch außerhalb der Stadtgrenzen Dublins überhaupt nicht mehr gut schmeckt. Es gibt allerdings ein stärkeres Exportbier, das Foreign Extra Stout, welches durchaus neben einem Imperial Stout aus handwerklicher Fertigung mithalten kann. Angesichts des Preises von unter 2 Euro pro Flasche ist es sogar ein sehr beachtliches Getränk, wenn man nicht aus ideologischen Gründen sein Alkoholgeld industriellen Brauereien vorenthalten und nur bärtige Kleinbetriebe unterstützen will. Zu kaufen kriegen wir unser Foreign auch nicht in der Bierboutique, sondern im asiatischen Lebensmittelmarkt, wo wir regelmäßig vorbeikommen, wenn wir uns mit unserer lebensnotwendigen Grundausstattung an Glutamat eindecken. Wir empfehlen übrigens immer, das japanische Original-Glutamat und raten von billigen Imitaten ab. Aber egal wie würzig-deftig-scharf die Mahlzeit, ein Stout, zumal ein stärkeres, hält dagegen. Nicht aufdringlich, aber robust. Vielleicht ist das ja auch der Grund, weshalb wohlschmeckendes Stout in vielen ostasiatischen Bierregalen einen festen Platz hat, auch in solchen Ländern, die niemals die zivilisatorischen Wohltaten des britischen Empires genießen durften. Wir erheben also unser Glas auf mehr als 150 Jahre erfolgreiche Globalisierung, die hoffentlich auch weiterhin asiatische Spezialitäten kostengünstig in unsere Küchen spült, aber unsere Nachbarschaft vor irischen Asphaltkochern verschont.

Lemke – Craft Beer in touristischen Zentren

Lemke Hackescher Markt Craft Beer

In einer Metropole der zivilisierten Welt sollte ein alkoholisches Getränk auswärts mindestens fünf Euro kosten. Ein hoher Preis trägt den Gefahren der Droge Rechnung. Außerdem soll Ausgehen immer auch zeigen, was man hat. Schließlich hat einheitlich hoher Preis den Vorteil, unglaublich egalitär auszusehen und trotzdem die Wenigerbesitzenden effektiv und effizient zu benachteiligen. Solche sozioökonomischen Binsenweisheiten sind aber für Berlin ein wenig problematisch. Im ganzen Land bewegt sich ja sowieso schon der Preis für Bier, unser deutsches Grundnahrungsmittel, in der Nähe von Leitungswasser. Berlin im besonderen kämpft dazu noch, trotz aller Aufwertungsbemühungen, mit skandalös niedrigen Lebenshaltungskosten. Alle Versuche der Gastronomie, sich davon abzuheben, werden von Spätis und Imbissbuden systematisch konterkariert.

Insofern ist Craft Beer ein ganz hervorragendes Mittel, um in der Preispolitik auf internationales Niveau zu steigen. Wer die aufstrebende Hauptstadt dabei unterstützen möchte, kann das ganz bequem in Lemkes Brauhaus tun. Der Traditionsbetrieb unterhält für das standesbewusste Besäufnis nämlich drei Dependancen in der Hauptstadt, welche direkt in und neben touristischen Zentren liegen. Es muss also niemand für sein Craft Beer durch irgendwelche verranzten Hipsterviertel stolpern. Da zapft Lemke ganz vorzüglich direkt am Schloss Charlottenburg oder am Hackeschen Markt in den S-Bahnbögen. Das Haus am Alexanderplatz haben wir noch nicht besucht, zum Alex gehen wir erst wieder, wenn der Senat jedem Besucher mindestens einen Taschendiebstahl, ersatzweise zwei Belästigungen, garantieren kann.

Die beiden getesteten Häuser bieten nicht nur bürgerlich akzeptable Preise, alles subbürgerliche Milieu wird auch durch ein gediegenes Ambiente von der Bierquelle ferngehalten. Es dominieren lackiertes, braunes Holz in rustikalen, geräumigen Hallen. Die Kellner eilen in kleinkarierten Hemden sehr umsatzbeflissen zu den Gästen. Man fühlt sich, als ob ein amerikanisches Marketing-Team versuchte, kontinentale Gemütlichkeit zu inszenieren. Und damit sitzt man schon wesentlich gemütlicher, als in solchen Läden, in denen amerikanische Jungbrauer versuchen, Europäer mit transatlantischer Lässigkeit und schlecht imitiertem Fastfood zu beeindrucken. Die Speisen haben wir nicht probiert, aber was vorbeigetragen wurde sah deftig und lecker aus und nach dem dritten Starkbier kann eh keiner mehr die Qualität von Schweinshaxen beurteilen.

Die Biere nun genügen allen Qualitätsansprüchen

Gut, das böhmische Pils lohnt sich nicht, da kann man auch für ein Drittel des Geldes Staropramen vom Späti trinken, Tschechien überflügelt als Biernation Deutschland sowieso, was Qualität und Preis angeht. Das Douple IPA – Lemke nennt es „Imperial IPA“, war aus der Flasche ein wenig schwachbrüstig. Aber IPA vom Fass und Imperial Stout aus der Flasche sind bei Lemke ganz unbedingt empfehlenswert. Wie sie genau schmecken, darüber wollte ich mich ja nicht mehr auslassen, denn zu subjektiv scheinen alle Bierbesprechungen. Vor allem, wenn der Besprecher ein paar Bier intus hat. Aber alle Produkte von Lemke schmecken gleichsam edel und professionell. Gemeinsam scheint ihnen eine dezent süße, blumige Grundnote. Echtes Craft Beer in echter Brauhausathmosphäre, nur wenige Schritte von größeren Taxiständen und Bahnstationen entfernt. Eine echte Empfehlung für Berlin-Besucher, vor allem wenn einem Kälte, Regen und frühe Dunkelheit jegliche Lust auf ausgedehnte Stadtspaziergänge verderben.

Craft Beer gut gekühlt genießen

Lauwarme Cervisia

Die richtige Temperatur des Bieres war schon in der Antike ein strittiger Punkt, vor allem in der ohnehin schwierigen Beziehung von Kontinentaleuropa und Britannien, wie diese historische Zeichnung, wahrscheinlich aus den späten 1970ern, eindrucksvoll belegt.

Jede Droge hat ihre Szene und jede Drogenszene hat ihre Rituale, Regeln und Accessoires. Das kann durchaus die Gesellschaft prägen. Ohne Tabak etwa würde niemand zu feierlichen Anlässen ein Smoking Jacket tragen. Manche vermuten sogar ernsthaft, Drogen und der Kult darum seien der eigentlich Grund für Sesshaftwerdung der nomadischen Menschen und damit der eigentliche Anlass für alle Kultur. Die Gebräuche um den Wein sind fast sakrale Gesetze, eine Wissenschaft die alle Bereiche umfasst: sei es, die richtige Lagerung, passende Gefäße, richtige Sorte zum Richtigen Anlass, natürlich in den richtigen Gläsern. Der Kult um das Bier, oder besser, die vielen Biersorten, ist, grade bei uns in Deutschland ähnlich vielfältig, aber noch nicht so sakrosankt, zumindest aber bodenständiger als beim Wein. Eine universelle Übereinkunft war, es muß kalt getrunken werden.

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Die Stone Brewing Co ist ein Flaggschiff des Craft Beer und mit fast 400000 Hektolitern Jahresausstoß ein Branchenriese jenseits von Micro Brewing. Der Gründer, Greg Koch, propagiert vehement sorgfältige Lagerung und Frische. Diese importierte Flasche Ruin Ten war aber trotz Regallagerung und abgelaufenem MHD mit das beste und beeindruckendste Bier, das ich je getrunken habe. Ein satter fruchtiger Malzkörper trägt eisige Bitterkeit und darauf schwebt schnittfrischer Koriander und Salbei.

Die Craft Beer-Bewegung aber ändert alles. Brauspezialitäten nach britischen Rezepten dürfen auf einmal etwas wärmer getrunken werden. Dafür wird die gekühlte, werterhaltende Lagerung der aromatischen Rauschtränke auf einmal ein heiß diskutiertes Thema. Das überraschte mich, denn eigentlich wollte ich nette, reportagenartige Portraits über die Dealer in meiner Nachbarschaft schreiben. Ich plauderte darüber in Foren, wo sofort die Frage nach der korrekten Lagerung, insbesondere Kühlung aufkam. Kunden und auch erfahrene Bierhändler engagierten sich stark und gerieten auf einmal richtig in Rage.

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Der Arrogant Bastard, gekühlt und aus der Dose, ist ein Erlebnis von einem Starkbier. Er kommt etwas ruppig, weil die Macher von Stone wohl in Gründertagen ohne jede Erfahrung von allem Hopfen ziemlich viel benutzten. Das Ergebnis jugendlichen Überschwangs wird bis heute gern konsumiert und inzwischen auch in Berlin gebraut.

Es verhält sich wohl so: Achtlose Behandlung auf dem Weg vom Braukünstler zum Kunden kann die ganze, feine Aromatik zerstören und ist für wahre Liebhaber ein ganz unglaublicher Frevel am Bier. In der Biernation Deutschland interessierte das bisher keinen, die Industrieware ist weitgehend unempfindlich und stabil, der Supermarkt stapelt in seinen halbwegs klimatisierten Hallen, gekühlt wird zu Hause. Für das neumodische Craft-Zeugs wird da keine Ausnahme gemacht und wenn eine Sorte die Behandlung nicht verträgt, ist es eben Pech für den brauenden Kleinunternehmer.
Auf einmal aber verlangen die Kunden von einem Fachhändler in dem Metier besonderes Fingerspitzengefühl und eine geschlossene Kühlkette wie bei Frischfisch. Da wird auch durchaus viel Fachwissen eingebracht. Es sind zum Teil Privatleute, die selber brauen oder viel Mühe und Geld in den Ausbau ihrer Lagerkapazitäten investieren. Man unterschätze nie den Deutschen, der in seinem Hobby aufgeht. Wenn das Hobby dann noch Bier ist, hört jeder Humor auf.

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Barleywine ist für lange Lagerung gebraut. Das Old Norway von den Orkney-Inseln überzeugte durch fruchtig-lieblichen Malzkörper mit dezenten Hopfennoten. Ein rundum angenehmes Getränk ohne jede Wildheit, dafür mit jeder Menge interessanten Aromen.

Kleine Händler im Nischenmarkt wiederum wehren sich oft gegen die Forderung nach lückenloser Kühlung und Frischegarantie. Es wäre schön, aber neben den Investitionen wären die laufenden Stromkosten untragbar. Craft Beer kommt nicht umsonst aus den USA, wo Energie nahezu umsonst ist. Außerdem sei gekühlte Lagerung für die meisten Sorten überhaupt nicht nötig, gut gemachtes Bier ist wenig empfindlich, sicher alles verändert sich, aber die meisten Sorten nicht unbedingt zum Schlechteren. Schließlich wird auch schon länger ein Kult um Jahre im Keller gelagerte, belgische Dunkelbiere betrieben.

German IPA tapped

Brlo German IPA, bei Sonnenschein direkt vom Brauhaus am Gleisdreieck schmeckt tatsächlich wesentlich besser als aus der Flasche: hier Kräuterduft und Zitrusfrische, wo in der Flasche nur Vollkornbrot übrig blieb, immer noch schmackhaft, aber nicht wirklich beeindruckend.

Brauer und Großhändler vertreten da eher gemäßigte Positionen, die, weil sie sowohl mit Kunden als auch Händlern auskommen müssen, natürlich beiden Recht geben. Viele Biere sind tatsächlich relativ unempfindlich. Vor allem die Dose erlebt als nahezu undurchlässiger Konservierungspanzer auf einmal ungeahnte Ehren. Anderen Sorten, vor allem den alkoholstarken und sehr malzigen, schadet das Altern nicht und kann sie manchmal sogar verbessern.
Kritisch wird es aber tatsächlich bei hopfenbetonten Bieren. Die Aromen sind sehr flüchtig und empfindlich. Und leider steht der gezielte Einsatz von Aromahopfen im Mittelpunkt des modernen, kreativen Brauens. Man könnte fast sagen Craft Beer lebt vom Aromahopfen. Das betrifft besonders IPA und Pale Ale, die typischen Bierstile der amerikanischen Brau-Rennaissance. Aber auch unsere heimischen Biere wie Pils, Alt oder Weizen werden mit charakteristischen Hopfensorten aufgewertet. Das empfindliche Pflänzchen der aufkeimenden Handwerksbraukunst droht also in staubigen Bierregalen zu verdorren, noch bevor es aufblühen konnte.

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Das amerikanische Old Stock Ale von 2014 kam, bei immer noch angenehm-lieblichem Körper mit sehr vollem Antrunk, der fast an ein Weizenbier erinnerte, dann aber mit herber Gerste abschloss. Barleywine könnte sich zu einem bevorzugten Bierstil der Drogenpolitik entwickeln.

In der guten, alten Zeit wurde das Bier immer frisch in der unmittelbaren Nachbarschaft des Brauhauses getrunken. Die regionalen Zutaten und ein individueller Hefestamm machten jedes Produkt zu einem einmaligen Geschmackserlebnis. Für Rheinländer ist es immer noch klar, das Kölsch trinkt man nur frisch in der Region, am besten direkt in der Brauerei. Aber ein moderner Micro Brewer kann leider von seiner konservativen Nachbarschaft auf dem Dorf nicht leben. Die interessierte Kundschaft für seine höherpreisigen Kreationen aus feinen Hopfenaromen sitzt oft weit weg in ihrer weltumspannenden Filterblase. Das ist natürlich ein großes Manko für die Craft Beer-Bewegung. Die einzigen, die eine Kühlkette gewährleisten könnten, wären große Supermarktketten. Die würden dann aber einen Bierkühlschrank nur mit Produkten solcher Hersteller befüllen, die entsprechend groß und überzeugungsstark wären.

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Grünhopfen-Sticke „Jrön“, ein Gemeinschaftsprodukt von Uerige und der Kehrwieder-Kreativbrauerei ist auch aus ungekühlter Flasche ein phantastischer Beweis, daß man in Deutschland eigentlich kein amerikanisches Craft Bier braucht. Altbier trägt Hopfenbombe und macht das richtig gut.

Bei der Drogenpolitik sind uns solche Paradoxa aber letztlich ziemlich egal. Wir haben etliche gute Dealer und vor allem auch Brauer in Zufußgehnähe. Direkt vom Hahn in der Craft Beer-Hauptstadt schmeckt es nunmal am besten. Außerdem interessieren wir uns besonders für rauschkräftige Getränke mit mindestens 8 %, bei denen der Alkohol die Aromen konserviert und haben da auch in der Resterampe mit abgelaufenem MHD gute Erfahrungen gemacht. Und ja, wenn ein auswärtiges Flaschenprodukt nicht schmeckt, dann kaufen wir das nicht noch mal ohne darüber nachzudenken, wer nun dafür verantwortlich war.
Trotzdem raten wir allen bierinteressierten Lesern abschließend: Unterstützt die Brauer in Eurer Nachbarschaft, dort schmeckt es am besten. Wenn ihr auswärtige Biere kauft, beurteilt einen handwerklichen Brauer nicht nach der ersten Flasche. Sprecht Eure Fachhändler höflich auf das Thema Lagerung und Haltbarkeit an und erkundet in netter Plauderei, was der einzelne empfiehlt.

Die Drogenpolitik bedankt sich beim Team von Bierhandwerk.de für informative Hintergrundgespräche. Der Bierhandel, von Braufachleuten betrieben, machte auf uns einen sehr seriösen und vor allem engagierten Eindruck. Unter „Fresh Finest“ bieten sie Bierspezialitäten aus lückenloser Kühlkette im Online-Versand an. Wir haben dort bisher noch nichts gekauft und auch keine kostenlosen Proben bekommen. Die Adresse scheint aber ein guter Ansprechpartner zu sein für Biertrinker ohne Brauerei in der Nachbarschaft.

​W-IPA von der Minoh Brewery, Osaka

Am letzten Abend in Japan gelang es mir dann doch noch, ein ordentliches, einheimisches Craft Beer zu finden. Für ausgiebige Kneipentouren nämlich eignet sich so ein Familienurlaub nicht wirklich. Dazu fand ich es wirklich schwierig, mich in der extrem dicht bebauten Konsumlandschaft zurechtzufinden. Nur mit Hilfe wurde ich schließlich auf ein beachtlich großes Kaufhaus aufmerksam, welches irgendwie zwischen eine Mall und diverse, verschachtelte Bahnhaltestellen gequetscht war. Ich vermute, die Architekten verstießen beim Bau gegen diverse Naturgesetze, ähnlich wie die genehmigungsfreie Anlage von Gleis 9 3/4 für Harry Potters Hogwarts-Zubringer. Oder sie verwendeten Pläne aus einem Buch von M.C. Escher. 

Jedenfalls war es auf einmal da, das Kaufhaus. Und im Kellergeschoss befand sich eine ordentlich große Lebensmittelabteilung mit unter anderem einem schönen, bunten Bierkühlschrank. Völlig willkürlich und weil ich auf den ersten Blick kein Stout fand, wählte ich das W-IPA von der Minoh-Brauerei aus Osaka. Damit fiel mir dann ein ganz beeindruckend leckeres Double IPA in die Hände. Der  leicht stechende Zitrusgeruch wird sofort beim ersten Schluck abgefedert von einem schweren, brotigen Körper. Das schmeckt sättigend, als ob man ein Vollkornbrot bis kurz vor zuckersüß durchkaut. Dabei schwebt die ganze Zeit der Zitrusduft über allem. Das wirkt dann insgesamt, wie so ein englischer Teekuchen mit kandierten Früchten, die mal mehr rot und süß, mal eher orangenschalig bitter daherkommen. Von 9 % Alkohol schmecke ich nichts. Sehr gut gefällt mir, dass der Hopfen, auf dem Etikett steht Cascade, durchaus scharf herauskommt und dem Bier hochwertige Komplexität verleiht. Dabei erschlägt er aber nicht die Geschmacksnerven und fügt sich sehr harmonisch in den Malzkörper. 

Richtig sympathisch erscheint mir überdies die Minoh-Brauerei, wo ich bei der Nachrecherche auf diese liebevolle Reportage gestoßen bin. Kurz zusammengefasst, handelt es sich wohl um ein kleines Familienunternehmen, das unter rein weiblicher Leitung weltklasse Craft Beer kreiert. Da bedaure ich im Nachhinein, nicht mehr Zeit in die Bierforschung investiert zu haben. Denn die Stouts der brauenden Töchter der Ohshita-Familie werden in den höchsten Tönen gelobt und auch das Pale Ale von Minoh wurde mir wärmstens empfohlen.

Rochefort 10 überzeugt auch Schnupfennasen

Rochefort Trappistes 10 EtikettObwohl ich erkältet war, hatte ich Lust auf ein geschmacksintensives Bier. Also machte ich das teure, kleine Rochefort 10 auf. Es war eine gute Entscheidung, verkleisterte Riechnerven brauchen kräftige Anregung. Das Fläschchen lag schon ein oder zwei Monate bei mir herum. Das hätte es laut Etikett auch mindestens bis 2019 noch tun können. Aber letztlich ist es zum Trinken und war auch so sehr beeindruckend. Der Schaum verschwindet sofort, wie bei vielen alkoholstarken Brauerzeugnissen, Rochefort 10 wartet immerhin mit 11,3 % auf. Die Flüssigkeit ist nahezu blickdicht im Glas, nur leichter Bernstein schimmert im Gegenlicht. Die verstopfte Nase nimmt sehr dezent belgische Hefe wahr und ahnt den vielen Alkohol. Der erste Schluck ist direkt voll da. Kein Antrunk, kein Abgang, einfach da und dann weg. Wie wenn man neben den Gleisen wohnt und ein Güterzug vorbeirauscht. Es rappelt im Karton, aber wenn er weg ist, ist es auch wieder still. Das Getränk ist süß, aber nicht zuckrig. Süßholz oder Lakritz ist es auf gar keinen Fall. Die Süße berührt die Zunge nicht wirklich, wirkt wie eingebunden in eine irgendwie holzige Bitterkeit. Es schmeckt wie ein faßgelagerter Süßwein, aber ein sehr leichter, auf keinen Fall ein Sherry. Beim zweiten und dritten Schluck ist es auch etwas pfeffrig im Gaumen. Das wird wohl der Alkohol sein.
Als das Glas zur Hälfte leer ist, spüre ich langsam die Wirkung. Das ist genau der Grund warum ich starke Biere liebe. Aber neue Geschmäcker identifiziert habe ich noch nicht. Ich freue mich über das sehr volle Mundgefühl – das bedeutet auf Deutsch, ich spüre beim Schlucken, wie sich die Kohlenhydrate ohne Umwege direkt in Fettpolster am Bauch einlagern. Und dabei kriege ich zusätzlich noch Appetit auf Hackfleisch. Es wäre sogar noch was im Kühlschrank. Ein medizinisch empfehlenswerter Appetitanreger also. Im sich vergrößernden Hohlraum des Glases rieche ich inzwischen Kräuternoten, wie so eine Mischung aus Koriander, Kreuzkümmel, Pfeffer und jeder Menge unbekannten. Oder ist das meine ausgehungerte Phantasie, die sich schon mit dem Hackfleisch beschäftigt?
Das Rochefort fand ich jetzt nicht ganz so ausgewogen, wie St. Bernardus Abt 12. Und der Edeldealer will für die kleine Flasche mit 4,50 einen Euro mehr als für den Abt. Trotzdem hab ich mir wieder ein Fläschchen zugelegt. Damit wird dann demnächst mit gesundem Riechorgan und hoffentlich noch viel mehr interessanten Aromen zünftig der Frühling eingetrunken.

Kaiserlich kräftig – Imperial Stouts

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Schoppe Bräu aus Kreuzberg macht mit dem Black Flag eine fröhliche, seidig-sanfte Variante, ohne die teerige Bitterkeit abzuschwächen.

Stouts sind eigenwillige Biere. Jedenfalls für den kontinentalen Geschmack. Stouttrinken lernte ich entsprechend bei einem Irlandurlaub. Am ersten Abend bekam ich zwei Guinness verabreicht. Mir war leicht übel, obwohl ich mich nicht angetrunken fühlte. Am nächsten Abend aber meldete sich das Bedürfnis nach einem Glas bitter-holzigem Schwarzbier. Und an allen weiteren Abenden des Urlaubs. Aber immer nur eines. Für eine Alkoholwirkung ergänzte ich das Abend-Guinness dann lieber mit Hot Toddy, ein Whiskey-Grog mit Nelken, welcher außerdem als Medizin gilt, die man zu sich nehmen kann, ohne in den Verdacht zu geraten, ein sinnloses Rauscherlebnis zu suchen. Abschließend beurteilt fand ich das Guinness ganz lecker, aber nichts um fröhlich zwei, drei und viele zu trinken. Außerdem schmeckt es außerhalb Irlands fürchterlich, Puristen grenzen den Wohlgeschmack sogar auf das Dubliner Stadtgebiet ein.

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Courage heißt heute die Londoner Brauerei, die wohl das erste Imperial Stout für den Zarenhof braute. Nach Originalrezept entsteht immer noch ein ausgewogenes, leckeres Bier.

Mehrere Leben später stolperte ich dann nichtsahnend über Imperial Stout. Im Prinzip wie ein Guinness, nur mit doppelt so viel Alkohol und doppelt intensivem Geschmack, vom Hahn ungemein köstlich und phantastisch wirksam. Es hatte alles, was einem gewöhnlichen Stout fehlt. Das wurde zu meinem Erweckungserlebnis mit der Craft Beer-Bewegung, ich wähle hier ganz bewußt eine gemischte Schreibweise, die englische Wortkombination ohne Bindestrich, die deutsche Wortverbindung selbstverständlich mit Strich vermählt. So kann man in zwei Sprachen orthographisch anecken. Eigentlich sollte ich jetzt noch was kyrillisches bringen, denn das Imperial Stout ist eine englische Schöpfung, welche aber wohl hauptsächlich für den Petersburger Hof der deutschstämmigen Zarin Katharina erfunden und produziert wurde. Womit dann wieder der Kreis zu den Marketingkonzepten des modernen Craft Beer’s geschlossen wäre, das ja gern mit ironisch gewichstem Traditionsbart und trotzdem flott-polyglott präsentiert wird.

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Mein Favorit, die Berliner Nacht, ist wie alle ernsten Brewbaker-Kreationen überwältigend bitter, aber herzensgut.

Unser Glück dabei, daß bärtige Jungbrauer diesen schönen Bierstil wiederbelebten, der einst mit dem Zarenhof von der Weltbühne verschwand. So dürfen wir heute wunderbare Biere genießen, die gleichsam berauschend stark und dabei disziplinierend bitter und schokoladig-sähmig-sättigend sind. Wer aber mit nur einem Glas einen anständigen Rausch wünscht, der sollte den Outlaw Czar probieren, ein Cocktailrezept das ich bei schlimmerdurst fand. Es handelt sich dabei im Grunde um ein dunkles Herrengedeck, also schwarzes Starkbier mit Schnaps. Ich hielt mich nur sehr vage an die Mengenangaben, im Pokal schwamm dann dickflüssige Trunkenheit, die sich wie Straßenteer über samtliche Synapsen legte und auch am nächsten Tag noch deutlichste Erinnerungen an einen sehr verschwommenen Abend hervorrief.

Die drei drogenpolitisch empfehlenswerten Imperial Stouts sind übrigens kurz in den Bildzeilen besprochen.

Arabier – eine edler Vogel aus Flandern

ara-im-glasDas Ara Bier bekam ich von Tom, ich berichtete schon, daß die Drogenpolitik einmal mit proBierchen richtiges Bier austauschte. Das Realweltpäckchen enthielt auch diese höchst interessante, belgische Spezialität. Da seit dem auch schon wieder einige Monate ins Land gegangen sind und die Biere immer noch ungeöffnet in meinem Schrank herumstanden, bekam ich langsam ein schlechtes Gewissen. Also öffnete ich eines schönen Abends dann die Flasche mit dem Papagei. Beim Eingießen bildete sich, höchst auffällig, eine enorme Menge Schaum, der einem aber nicht schon aus der Flasche entgegensprudelt, wie das bei manchen belgischen Bieren der Fall ist, sondern als sauberer Zylinder erst im Glas wächst. Die Schaumbildung weist auf starke Aktivität in der Flasche hin und schon bekam ich wieder ein schlechtes Gewissen: Hätte ich die Flasche nicht lieber noch länger nachgären lassen sollen? Es hätte laut Etikett noch mindestens bis Mai liegen können, denn bei den Belgiern ist das MHD mitunter ja eher der Zeitpunkt, ab welchem eine vernünftige Nachreifung beginnt. Aber letztlich sind die Biere ja zum Trinken da. Ich vermute hinter dem Schaumeffekt das refermentierte Bier, das auf dem Etikett als Inhaltstoff ausgewiesen ist. Nach dem sich im Glas die trinkbare Flüssigkeit nun konsolidiert hatte, wollte ich schon wissen, wie es schmeckt. Denn riechen tat es kaum. Beim ersten Schluck breitet sich ein durchaus voller Körper aus, beim zweiten Schluck kommt etwas schärflicher Alkohol durch. Dann herrscht nur noch Bitterkeit, wie von einem sehr trockenen Sekt. Der bunte Vogel auf dem Etikett täuscht, denn er ließ schon an exotische Früchte denken. Das Bier aber ist durchgehend pulvrig herb, wie ein indisches Curry mit viel Kurkuma, aber ohne alle blumigen Aromen. Im flämischen Wikipedia-Artikel steht, die Bitterkeit kommt von der Trockenhopfung. Wenn ich die verwandte, germanische Sprache richtig entziffere, hätte ich mir um die Lagerung keine Sorgen machen müssen, da Arabier nicht nachreift. Auch die Geschichte des Papageienvogels scheint da kurz erklärt, die erschließt sich mir aber mangels Flämischkenntnissen nun aber nicht.

Wenn das Getränk im Glas ein wenig wärmer wird, zeigt sich ein wohlgeformter Körper in einem eleganten, spröden Gewand ohne alle Schnörkel. Ein staubtrockenes, helles Bier, ich vermute, für den herben Geschmack ist auch die Gerste als einziges Getreide verantwortlich, das nicht, wie bei einem Tripel, von Weizen abgerundet wurde. Den beigefügten Zucker setzten wohl die emsigen Hefen komplett um, die mussten ja schließlich die 8 % Alkohol produzieren. Aber anders als manch süffige, dunkle Starkbiere, die zum Schnelltrinken verführen, ist der Ara nicht so ein euphorisches Rauschmittel, sondern eher ein edler, belgischer  Getreidewein, von dem auch nur ein kleines Fläschchen als genußvolle Begleitung für ein deftiges Essen reichen kann.

Sticke Uerige Altbier – Karma auf Rheinländisch

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Karma als moralisches Konzept ist für Christen schwer nachzuvollziehen, denn es handelt sich nicht um Belohnung oder Strafe und es bezieht sich nicht auf dieses Leben und nicht auf diese Persönlichkeit. Denn nur die nackte, egoistische Lebensgier wird wiedergeboren, und das ist keine Chance sondern bemitleidenswertes Schicksal, welches ein Mensch durch Verbesserung seines Karmas lediglich abmildern kann. Aber wir können uns ein nächstes Leben ohne unsere Persönlichkeit nicht vorstellen, halten es ferner nicht für erstrebenswert, unsere unsterbliche Seele in einem Nirwana aufzulösen und wir hängen sehr an diesem einen Leben. Weil aber Karma hübsch modisch klingt, wird der Begriff gerne unseren kulturellen Gepflogenheiten angepaßt. Für Rheinländer klingt das dann in etwa so: Verschenke uneigennützig aus gustatorischem Interesse zwei Flaschen Bier an einen anderen Blogger, zum Beispiel Tom aus Krefeld von proBierchen. Dann wirst du völlig unerwartet drei Flaschen zurückbekommen. Wenn du aber ein dünkelhafter Rheinländer bist, aufgewachsen an der Kölsch-Alt-Grenze und seit der Pubertät mit Kölsch und abfälligen Vorurteilen gegen Altbier gefüttert, dann wird in dieser himmlischen Sendung gewiß ein Altbier dabei sein. Und es wird göttlich schmecken und du wirst nicht umhinkönnen, es zu preisen.
Das Sticke Uerige aus der Düsseldorfer Altstadt ist nämlich total leckeres, bemerkenswert individuelles Gebräu. Normalerweise unterscheiden sich Kölsch und Alt praktisch gar nicht, sind das selbe in braun beziehungsweise gelb. Eine dünne Plörre mit wenig Kohlensäure und noch weniger Geschmack, Schaum gibt es nur, wenn das Partyfässchen mal wieder von Betrunkenen transportiert wurde. Wenn’s aber mal läuft, eignet es sich gut um Minderjährige an Alkohol zu gewöhnen und ist  auch für verkaterte Erwachsene schon am Vormittag zum Mettbrötchenfrühstück empfehlenswert bekömmlich. Das Sticke Uerige nun ist das Gegenteil von dünnem Wasser. Die sechs Prozent Alkohol schmeckt man nicht direkt, sie geben dem Aroma aber Volumen. Da breitet sich eine würzige, pfeffrige Schärfe aus. Durch das Etikett beeinflusst vermute ich hinter diesem Geschmack den Röst- und Karamellmalz. Wie von deutschem Qualitätsbier gewohnt sind für den Laien keine charakteristischen Einzelgeschmäcker zu unterscheiden, nur ein runder, voller Geschmack. Es gibt keine Süße und auch keine Raucharomen, obwohl die Kernigkeit an der Zungespitze beides erwarten ließe. Die Würzigkeit entspricht eher einem gelungenen Schinken, der ja auch nach gutem Schinken und nicht nach Rauch schmecken soll. Wenn ich es mit einem Bier vergleichen soll, dann schmeckt es am ehesten wie ein IPA ohne Aromahopfen, nur mit vollmundiger Basis und geschmacksneutraler Bitterkeit. Der Abgang ist dann wieder typisch rheinisch süffig. Das ganze Vergnügen kommt dazu in einer hübschen Bügelflasche mit ungewöhnlich schlankem Hals und erfreut schon vor dem Eingießen das Auge. Die englische Aufschrift „German Lager“ verrät, daß es für den Export hergestellt wurde. Vielleicht, neben meiner kölschtrunkenen Borniertheit, ein Grund, warum ich bisher noch nichts von der Existenz des Sticke wußte. Aber zum Glück bin ich nun um ein tolles Getränk klüger, dank tatkräftiger Unterstützung vom Niederrhein.

Vagabund Brauerei und Schankraum

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Ob es nun der oder das Wedding heißt, interessiert so richtig eigentlich niemanden. Und genau wegen dieser Form von Desinteresse fliegt dieser Bezirk der nördlichen Berliner Innenstadt seit Jahren unter dem Radar von Glamour und Gentrification. Es wohnen im Wedding wahrscheinlich einfach zu viele Leute, die wirklich arbeiten. Ein Szenebezirk entsteht ja erst ab einer gewissen kritischen Masse von kulturell aktiven Nichtstuern. Aber grade im gewaltigen Betonmeer grauer Normalität mit ihren bezahlbaren Mieten existieren zahlreiche, äußerlich unscheinbare Partyinseln aus Studentenwohnheimen, Galerien, kleinen Klubs und der vielen Nachbarschaftskneipen. Immerhin hat eine einzelne Berliner Straße mehr Einwohner als manches Dorf. Und jede Nachbarschaft ernährt genau die Kneipen, welche sie verdient.
Eine sehr angenehme Lokalität im Wedding nun ist die Vagabund Brauerei nahe der U-Bahnstation Seestraße. Darauf wies mich freundlicherweise der Blogger eimaeckel hin, dem ich mit diesem Link hoffentlich gebührend dafür danke. Der Schankraum in der Antwerpener Straße befindet sich ebenerdig in einem Ladengeschäft. Ein Durchbruch erlaubt den Blick auf die kleine Brauanlage im Hinterzimmer. Das Einrichtungskonzept würde ich als pragmatisch zusammengestückelt bezeichnen. Halt Wedding, also nicht so plüschig abgeranzt wie Friedrichshain aber lange nicht so hochglänzend durchgestylt wie im nahen Mitte. Kurz, es ist äußerst gemütlich. Beim Eintreten fühlt man sich wie in einer analog-materialisierten Filterblase voller Gesinnungsgenossen. Hier sind hauptberufliche Bart- und Zopfträger unter sich. Ein modisch ergrauter Jugendlicher baut am Laptop gewissenhaft eine Präsentation und schaut dabei mit einem Auge die Simpsons oder eine Video, wo sich Menschen mit einem riesigen Porzellanpenis prügeln. Aber entgegen aller Vorurteile schauen die meisten Gäste gar nicht auf einen Bildschirm, sondern einander richtig in die Augen, während sie multilingual progressive Ideen austauschen. Und nach dem zweiten Bier fühlt es sich wirklich so an, als sei die Welt ein einziges aufgeklärtes Künstlerviertel und der graue Arbeiterbezirk draußen existiere gar nicht. Denn das Bier ist gut und stark. Vier Sorten selbstgebrautes Faßbier von unterschiedlichem Charakter fließen aus den Hähnen. Wir fanden das IPA am besten. Es weckt den Geist mit fast schon stechend scharfen Kräuteraromen, hat dabei eine fruchtige Vollmundigkeit, die mit süß nur sehr unzureichend beschrieben ist. Ein rundum gelungenes Gebräu. Das Pale Ale wirkt dagegen ein wenig wie der schwächere kleine Bruder. Vom äußerst beliebten Pumpkin Ale nahmen wir eine Kostprobe. Ein gewiß gutes Brauerzeugnis, schmeckt ein wenig wie eine gelungene Kreuzung von hausgemachtem Glühwein mit süffigem Bier. Aber für unseren Geschmack doch zu weich und süß. Das Haferbier probierten wir nicht mehr. Zu sehr genossen wir das schöne, amerikanisch-berlinerische IPA: Denn im Gegensatz zu belgischen Delikatessen oder schwerem Bock ist dies mit 7-Komma-nochwas Prozent ein durchaus ernstzunehmendes Starkbier, dabei aber so frisch und spritzig, daß man den Ernst schnell vergisst und gern ein oder zwei mehr als nötig zu sich nimmt.

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Wie hier abgebildet, gingen für jedes helle Ale immer gut zwei dunkle Kürbisbiere über den Tresen. Das helle fand ich trotzdem leckerer, man muß nicht immer mit dem Bierstrom schwimmen. Es mußten ja uch nicht alle Gäste Zopf und Vollbart tragen.

Bock auf Pils – Brauerei Moritz Fiege

Über den Sommer entdeckte ich eine Drogenküche, die sich durchaus zu einer Lieblingsbrauerei entwickeln könnte. Und zwar das Traditionsunternehmen Moritz Fiege, mit Sitz in Bochum, wie ich jetzt herausfand. Denn glücklicherweise hab ich noch schnell im Internet gespickt, sonst hätte ich die Firma glatt einer verfeindeten Nachbarstadt derselben Metropolregion zugeordnet. So aber erfahre ich nebenher, daß die recht alte Bochumer Brauerei mit zu den ersten gehört, die in Deutschland Pils ausschenkten und damit populär machten. Und zwar erst um 1920. So beziehen sich die guten Erfahrungen, die ich mit Fiege-Produkten machen durfte, sämtlich auf untergärige Pilsbiere. Wer leckeres Craft Beer will, muß also nicht zwingend immer Ale zu sich nehmen.

Ein tolles Erlebnis ist etwa der Sommerhopfen, für ausführliche Besprechung verlinke ich mal wieder zu Tom. Trotz der nur 2,5 % Alkohol ist das Leichtgewicht um Längen besser als jedes Kiosk-Pils. Es erfreut den Gaumen mit vielen Hopfenaromen und einer bitteren Frische bis zum letzten Schluck. Und zwar so reichhaltig, daß es keinen Augenblick dünn wirkt. Wenn so etwas leckeres mit wenig Alkohol möglich ist, sollte man das Verpanschen von echtem Bier mit Limonade eigentlich gesetzlich verbieten.

Dann gibt es von Fiege natürlich das Pils. Sympathisch aus der Bügelflasche, wo die Aromahopfen mit Vornamen auf dem Etikett stehen. Die riecht und schmeckt man dann auch. Aber ich kann das ehrlicherweise nur richtig beim ersten Schluck. Danach wird es zu einem kräftigen Pils, wie früher, als der Dreimaster aus der Becks-Werbung noch keine grünen Segel und grüne Schönwetterschnösel als Besatzung hatte sondern richtige Seemänner damit richtige Seemännersachen getan haben.

Der absolute Knaller aber ist das Pilsbock. Genau wie der Sommerhopfen trägt es den Markennamen „Charakter“, das scheint so etwas wie die Craftbeer-Linie von Fiege zu sein. Das Pilsbock überzeugt mit 7,8 % Alkohol, welchen das massive naturtrübe Gebräu jedoch komplett einbindet. Ich hab nur einmal Alkohol herausgeschmeckt, und zwar beim letzten Schluck eines sträflich lange stehengelassenen Glases. Denn eigentlich kann und sollte man es fröhlich und schnell runterkippen. Bei aller Schwere und Fülle ist es ein konsumorientiertes Starkbier, man kann es trinken und sich freuen, ohne groß was dazu sagen zu müssen. Wenn man doch was zu sagen will, weil man etwa einen Drogenblog führt, sei es das folgende: Der leichte Duft nach Hefe erinnert an belgische helle Biere. Aber wenn beispielsweise ein Tripel manchmal ein bißchen wie ein Weizenbier schmeckt, ist das Pilsbock eher wie Weißbier, das manchmal wie ein belgisches Tripel schmeckt. Aber eben nicht so dumpf und sperrig, sondern frisch und durstlöschend, ein echtes Pils. Mit Leichtigkeit kann man es sich zügig auf nüchternen Magen reinstellen. Und dann erfüllt es den Sinn eines guten alkoholischen Getränks perfekt. Es erzielt Maximale Wirkung in Form von Benebelung und euphorischer Desorientierung, die aber nicht zu lange anhalten und, wenn’s nur bei einem Pilsbock bleibt, ohne großartige Folgeschäden wieder vergehen. Fazit: Drogenpolitisch äußerst wertvoll!

pilsbock