Wie wir mal in Zungen redeten

Das war sicher nicht zu Pfingsten. Das wäre viel zu früh im Jahr gewesen und daher nachts zu kalt. Denn die fremden Sprachen ereilten uns nachts beim Lagerfeuer am Ufer eines Sees in der Voreifel. Der Zauberkollege und ich trafen uns zu einem philosophischen Abend im freien. Dazu sammelten wir einen ausreichenden Vorrat Feuerholz und nahmen gegen Sonnenuntergang auf leeren Magen eine anständige Portion Pilze. Gegen Mitternacht dann zündete das Gedankenfeuerwerk. So hätte es bleiben können, farbintensives Tüterauchen mit berauschtem Geschwätz. Doch der entscheidende Impuls kam von anderen. Eine Rauhe Stimme hallte aggressiv über den See: Feuer aus!!!

Wir erschraken und besprachen uns leise. Der Zauberkollege meinte, das käme von der Hütte des Angelvereins. Die hätten wirklich so eine Art Hausrecht am See. Aber wir wollten das Feuer nicht aus machen. Außerdem stand zu vermuten, daß sie so betrunken waren, wie wir verstrahlt und daher wohl keine nächtliche Waldwanderung mehr unternähmen. Andererseits gelüsteten wir nicht nach eine persönlichen Auseinandersetzung mit der Landjugend. In dieser leicht angespannten Situation brachen unbekannte Worte hervor. Aus gelockerten Kehlköpfen formten wir Laute und Silben zu fühlbaren Sinnzusammenhängen. Wir spannen einen Dialog aus Fragen und Antworten, möglichst weit hörbar laut und aggressiv. Die Sprache kannten wir nicht und auch nicht den Inhalt des gesagten. Aber wir dachten, es müsse eine afrikanische Sprache sein, weil es so klang, wie wenn Westafrikaner Französisch sprechen, tief, grollend, schnell mit intensivem Rhythmus. Wir hielten das Gespräch eine Weile am Laufen. Solange eben, wie zwei verpilzte es interessant finden, sich selbst zuzuhören, ohne ein Wort zu verstehen. Von der anderen Seite des Sees blieb es ruhig und wir wurden in keiner Weise mehr behelligt, von einer unspektakulären Ufo-Sichtung einmal abgesehen. Wir bildeten uns ein, die Landjugend hätte keine Lust auf eine persönliche Auseinandersetzung mit unbekannten, minimalintegrierten Ausländern und freuten uns über unsere Genialität.

Später haben wir das noch einmal vor Publikum versucht. Eines Nachmittags im Herbst kamen wir direkt von der Wiese und besuchten in gelöster Stimmung einen alten, erfahrenen Krautmann. Der jedoch war auf eine andere Frequenz eingestellt und als die fremde Sprache erklang machte er ein extrem besorgtes Gesicht. Wir genossen ein wenig beängstigende Wirkung unseres Tuns, aber unterließen weitere Verunsicherungen. Danach verfolgte ich die Kunst des Zungenredens nicht weiter.

 

Wir sind viele klein

Manche meinen, alles hängt mit allem zusammen. Das halte ich für möglich, aber sehr schwer nachzuvollziehen. Irgendwo las ich mal sie hätten bei einem Freestyle-Rapper während des Improvisierens die Hirnaktivität gemessen. Der Künstler konnte wohl irgendwelche hemmenden Areale willentlich ausschalten. Die Sprechzentren flottierten frei während die innere Zensur auf Urlaub war. Sozusagen die elementarste Form persönlicher Meinungsfreiheit.