Craft Beer gut gekühlt genießen

Lauwarme Cervisia

Die richtige Temperatur des Bieres war schon in der Antike ein strittiger Punkt, vor allem in der ohnehin schwierigen Beziehung von Kontinentaleuropa und Britannien, wie diese historische Zeichnung, wahrscheinlich aus den späten 1970ern, eindrucksvoll belegt.

Jede Droge hat ihre Szene und jede Drogenszene hat ihre Rituale, Regeln und Accessoires. Das kann durchaus die Gesellschaft prägen. Ohne Tabak etwa würde niemand zu feierlichen Anlässen ein Smoking Jacket tragen. Manche vermuten sogar ernsthaft, Drogen und der Kult darum seien der eigentlich Grund für Sesshaftwerdung der nomadischen Menschen und damit der eigentliche Anlass für alle Kultur. Die Gebräuche um den Wein sind fast sakrale Gesetze, eine Wissenschaft die alle Bereiche umfasst: sei es, die richtige Lagerung, passende Gefäße, richtige Sorte zum Richtigen Anlass, natürlich in den richtigen Gläsern. Der Kult um das Bier, oder besser, die vielen Biersorten, ist, grade bei uns in Deutschland ähnlich vielfältig, aber noch nicht so sakrosankt, zumindest aber bodenständiger als beim Wein. Eine universelle Übereinkunft war, es muß kalt getrunken werden.

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Die Stone Brewing Co ist ein Flaggschiff des Craft Beer und mit fast 400000 Hektolitern Jahresausstoß ein Branchenriese jenseits von Micro Brewing. Der Gründer, Greg Koch, propagiert vehement sorgfältige Lagerung und Frische. Diese importierte Flasche Ruin Ten war aber trotz Regallagerung und abgelaufenem MHD mit das beste und beeindruckendste Bier, das ich je getrunken habe. Ein satter fruchtiger Malzkörper trägt eisige Bitterkeit und darauf schwebt schnittfrischer Koriander und Salbei.

Die Craft Beer-Bewegung aber ändert alles. Brauspezialitäten nach britischen Rezepten dürfen auf einmal etwas wärmer getrunken werden. Dafür wird die gekühlte, werterhaltende Lagerung der aromatischen Rauschtränke auf einmal ein heiß diskutiertes Thema. Das überraschte mich, denn eigentlich wollte ich nette, reportagenartige Portraits über die Dealer in meiner Nachbarschaft schreiben. Ich plauderte darüber in Foren, wo sofort die Frage nach der korrekten Lagerung, insbesondere Kühlung aufkam. Kunden und auch erfahrene Bierhändler engagierten sich stark und gerieten auf einmal richtig in Rage.

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Der Arrogant Bastard, gekühlt und aus der Dose, ist ein Erlebnis von einem Starkbier. Er kommt etwas ruppig, weil die Macher von Stone wohl in Gründertagen ohne jede Erfahrung von allem Hopfen ziemlich viel benutzten. Das Ergebnis jugendlichen Überschwangs wird bis heute gern konsumiert und inzwischen auch in Berlin gebraut.

Es verhält sich wohl so: Achtlose Behandlung auf dem Weg vom Braukünstler zum Kunden kann die ganze, feine Aromatik zerstören und ist für wahre Liebhaber ein ganz unglaublicher Frevel am Bier. In der Biernation Deutschland interessierte das bisher keinen, die Industrieware ist weitgehend unempfindlich und stabil, der Supermarkt stapelt in seinen halbwegs klimatisierten Hallen, gekühlt wird zu Hause. Für das neumodische Craft-Zeugs wird da keine Ausnahme gemacht und wenn eine Sorte die Behandlung nicht verträgt, ist es eben Pech für den brauenden Kleinunternehmer.
Auf einmal aber verlangen die Kunden von einem Fachhändler in dem Metier besonderes Fingerspitzengefühl und eine geschlossene Kühlkette wie bei Frischfisch. Da wird auch durchaus viel Fachwissen eingebracht. Es sind zum Teil Privatleute, die selber brauen oder viel Mühe und Geld in den Ausbau ihrer Lagerkapazitäten investieren. Man unterschätze nie den Deutschen, der in seinem Hobby aufgeht. Wenn das Hobby dann noch Bier ist, hört jeder Humor auf.

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Barleywine ist für lange Lagerung gebraut. Das Old Norway von den Orkney-Inseln überzeugte durch fruchtig-lieblichen Malzkörper mit dezenten Hopfennoten. Ein rundum angenehmes Getränk ohne jede Wildheit, dafür mit jeder Menge interessanten Aromen.

Kleine Händler im Nischenmarkt wiederum wehren sich oft gegen die Forderung nach lückenloser Kühlung und Frischegarantie. Es wäre schön, aber neben den Investitionen wären die laufenden Stromkosten untragbar. Craft Beer kommt nicht umsonst aus den USA, wo Energie nahezu umsonst ist. Außerdem sei gekühlte Lagerung für die meisten Sorten überhaupt nicht nötig, gut gemachtes Bier ist wenig empfindlich, sicher alles verändert sich, aber die meisten Sorten nicht unbedingt zum Schlechteren. Schließlich wird auch schon länger ein Kult um Jahre im Keller gelagerte, belgische Dunkelbiere betrieben.

German IPA tapped

Brlo German IPA, bei Sonnenschein direkt vom Brauhaus am Gleisdreieck schmeckt tatsächlich wesentlich besser als aus der Flasche: hier Kräuterduft und Zitrusfrische, wo in der Flasche nur Vollkornbrot übrig blieb, immer noch schmackhaft, aber nicht wirklich beeindruckend.

Brauer und Großhändler vertreten da eher gemäßigte Positionen, die, weil sie sowohl mit Kunden als auch Händlern auskommen müssen, natürlich beiden Recht geben. Viele Biere sind tatsächlich relativ unempfindlich. Vor allem die Dose erlebt als nahezu undurchlässiger Konservierungspanzer auf einmal ungeahnte Ehren. Anderen Sorten, vor allem den alkoholstarken und sehr malzigen, schadet das Altern nicht und kann sie manchmal sogar verbessern.
Kritisch wird es aber tatsächlich bei hopfenbetonten Bieren. Die Aromen sind sehr flüchtig und empfindlich. Und leider steht der gezielte Einsatz von Aromahopfen im Mittelpunkt des modernen, kreativen Brauens. Man könnte fast sagen Craft Beer lebt vom Aromahopfen. Das betrifft besonders IPA und Pale Ale, die typischen Bierstile der amerikanischen Brau-Rennaissance. Aber auch unsere heimischen Biere wie Pils, Alt oder Weizen werden mit charakteristischen Hopfensorten aufgewertet. Das empfindliche Pflänzchen der aufkeimenden Handwerksbraukunst droht also in staubigen Bierregalen zu verdorren, noch bevor es aufblühen konnte.

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Das amerikanische Old Stock Ale von 2014 kam, bei immer noch angenehm-lieblichem Körper mit sehr vollem Antrunk, der fast an ein Weizenbier erinnerte, dann aber mit herber Gerste abschloss. Barleywine könnte sich zu einem bevorzugten Bierstil der Drogenpolitik entwickeln.

In der guten, alten Zeit wurde das Bier immer frisch in der unmittelbaren Nachbarschaft des Brauhauses getrunken. Die regionalen Zutaten und ein individueller Hefestamm machten jedes Produkt zu einem einmaligen Geschmackserlebnis. Für Rheinländer ist es immer noch klar, das Kölsch trinkt man nur frisch in der Region, am besten direkt in der Brauerei. Aber ein moderner Micro Brewer kann leider von seiner konservativen Nachbarschaft auf dem Dorf nicht leben. Die interessierte Kundschaft für seine höherpreisigen Kreationen aus feinen Hopfenaromen sitzt oft weit weg in ihrer weltumspannenden Filterblase. Das ist natürlich ein großes Manko für die Craft Beer-Bewegung. Die einzigen, die eine Kühlkette gewährleisten könnten, wären große Supermarktketten. Die würden dann aber einen Bierkühlschrank nur mit Produkten solcher Hersteller befüllen, die entsprechend groß und überzeugungsstark wären.

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Grünhopfen-Sticke „Jrön“, ein Gemeinschaftsprodukt von Uerige und der Kehrwieder-Kreativbrauerei ist auch aus ungekühlter Flasche ein phantastischer Beweis, daß man in Deutschland eigentlich kein amerikanisches Craft Bier braucht. Altbier trägt Hopfenbombe und macht das richtig gut.

Bei der Drogenpolitik sind uns solche Paradoxa aber letztlich ziemlich egal. Wir haben etliche gute Dealer und vor allem auch Brauer in Zufußgehnähe. Direkt vom Hahn in der Craft Beer-Hauptstadt schmeckt es nunmal am besten. Außerdem interessieren wir uns besonders für rauschkräftige Getränke mit mindestens 8 %, bei denen der Alkohol die Aromen konserviert und haben da auch in der Resterampe mit abgelaufenem MHD gute Erfahrungen gemacht. Und ja, wenn ein auswärtiges Flaschenprodukt nicht schmeckt, dann kaufen wir das nicht noch mal ohne darüber nachzudenken, wer nun dafür verantwortlich war.
Trotzdem raten wir allen bierinteressierten Lesern abschließend: Unterstützt die Brauer in Eurer Nachbarschaft, dort schmeckt es am besten. Wenn ihr auswärtige Biere kauft, beurteilt einen handwerklichen Brauer nicht nach der ersten Flasche. Sprecht Eure Fachhändler höflich auf das Thema Lagerung und Haltbarkeit an und erkundet in netter Plauderei, was der einzelne empfiehlt.

Die Drogenpolitik bedankt sich beim Team von Bierhandwerk.de für informative Hintergrundgespräche. Der Bierhandel, von Braufachleuten betrieben, machte auf uns einen sehr seriösen und vor allem engagierten Eindruck. Unter „Fresh Finest“ bieten sie Bierspezialitäten aus lückenloser Kühlkette im Online-Versand an. Wir haben dort bisher noch nichts gekauft und auch keine kostenlosen Proben bekommen. Die Adresse scheint aber ein guter Ansprechpartner zu sein für Biertrinker ohne Brauerei in der Nachbarschaft.

7 Gedanken zu “Craft Beer gut gekühlt genießen

  1. Ist ja doch komplizierter als ich dachte, mit der Verperlung. Vielleicht sollte ich mich doch so langsam vom Radler lösen. Der Vorteil ist natürlich der einfache Konsum. Schön kalt rein in die trockene Kehle und gut is.
    Wenns hingegen schmecken soll, dann Hierbas sin hielo 😉
    Sollte der Kommentar zu unqualifiziert sein, einfach löschen …

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