Berliner Weiße ohne Schuß

Da wohne ich nun 10 Jahre in Berlin und komme erst in diesem Sommer dazu, Berliner Weiße zu kosten. Damit erweise ich mich als völlig durchschnittlicher Repräsentant des biertrinkenden Massengeschmacks.

Die Weiße ist ein weitgehend vergessenes, vom Aussterben bedrohtes Bier.

Sie ist nur noch selten zu sehen, meist auf vorbeifahrenden Ausflugsschiffen auf der Spree, zur Unkenntlichkeit mit quitschbuntem Sirup verschnitten. Eigentlich ist die Weiße auch gar kein richtiges Bier für die Drogenpolitik. Wir reden hier nämliche von einem deutlich sauren Getränk mit mageren 3% Alkohol, gerne schwimmen nach dem Einschenken noch Hefeflocken im Glas. Bei einem Brauereibesuch bei Brewbaker aber wurde mir so ein saures Dünnbier vorgesetzt. Und es schmeckte sehr gut. Die Säure ist genau das richtige gegen den Durst und mit der homöopathischen Alkoholdosis kann man sich eine Schale nach der anderen reinstellen. Schmecken tut eine Weisse pur ein wenig so, wie wenn man sein Müsli mit saurem Apfelmost aufgießt. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber bei warmem Wetter frisch von der Brauerei ist das ein  feines Sommergetränk.

Dazu sind Aufstieg und Niedergang der Berliner Weiße Lehrstück in Sachen Braukultur. Denn die Weiße ist ein Bier aus einer anderen Zeit, das fast ausgestorben wäre, zermürbt von Sirup, industrieller Bierproduktion und dem Geschmack des Zeitgeistes. Die Fakten und Mythen sind sehr gut im Wikipediaartikel aufgelistet, das möchte ich hier nicht weiter referieren. Was nun vom Marketing erfunden oder aufgegriffen wurde, scheint mir zweifelhaft. Grade bei Konsumgütern zeigt sich deutlich der Nebel der Geschichte. Was früher war, wissen eigentlich nur die Leute, die dabei waren. Und von denen hat es jeder anders erlebt.

Jedenfalls war die Weiße wohl einst der beliebteste Bierstil rund um Berlin, mit fast 400jähriger Geschichte, bevor sie zu Touristenkitsch verkam. Zunächst wurde sie mit „Schuß“ aus Sirup oder Likören massentauglich gemacht. Irgendwann dominierte der Sirup den Geschmack, da brauchte man sich bei der Herstellung des Biers keine Mühe mehr zu geben. Der korrekte, traditionelle Brauprozess mit verschiedenen Hefen stört im übrigen die Abläufe in industriellen Brauanlagen ganz erheblich und wurde deswegen in jüngerer Zeit gar nicht mehr praktiziert.

Die Gärung erfolgt Stufenweise mit verschiedenen Organismen.

Neben der normalen Bierhefe werden Milchsäurebakterien eingesetzt. Die liefern den typischen, sauren, frischen Geschmack. Schließlich kommen noch besondere, langlebige Wildhefen mit Namen Brettanomyces in die Flasche. Diese Wildhefen sind für Molekularbiologen und begeisterte Braukünstler ein extrem spannender Lebensinhalt. Manche gewinnen die Kulturen sogar aus uralten Bierflaschen. Denn die Weiße ist ein Bier, das in Würde altern und reifen kann, Jahre und Jahrzehnte machen sie angeblich nur interessanter. Und die lieben Brettanomyces bleiben dabei gesund und munter. Aber für den Besitzer industrieller Brauanlagen sind solche Hefen ein Albtraum. Sie können andere Hefen infizieren und verderben. Oder sich woanders einschleichen, in der Flasche weitergären und ein Supermarktregal voll Pilsbier explodieren lassen.

Diese altmodische, komplizierte und säuerliche Getreidelimonade wurde aber nun von einigen handwerklichen Brauern in Berlin – denn nur von hier darf sie Berliner Weiße heißen – vor dem Verschwinden gerettet. Als Anerkennung dieser ihrer Leistung wäre es nett, die kunstvoll gepflegte Säure nicht mit Sirup zuzukleistern. Wer es nicht mag, kann die Flaschen ja einige Jahre im Keller vergessen und sich dann erneut überraschen lassen vom Champagner des Nordens.

Eine ernste Weiße gibt es bei Brewbaker.
Schneeeule hat sich ausschließlich auf Weiße mit Flaschengärung spezialisiert, vier bis fünf spritzige Sorten sind immer im Angebot, entweder pur oder mit Aromakräutern vergoren.
Brlo macht wohl auch eine, die hab ich aber noch nicht probiert.

 

Stilvolles Besäufnis mit den Recipettes

Unter meinen Lesern, die mich regelmäßig mit einem Like beehren, befinden sich die Recipettes, zwei schöne Damen aus Wien. Die Recipettes machen einen überaus gepflegten Food- und Lifestyle Blog. Wenn Österreicher über Essen reden, kann ich dem immer Begeisterung zustimmen. Die Rezepte sind aufwendig gestaltet, es gibt eine lange, eine kurze Version und eine Englische Übersetzung, schöne und informative Bilder sind in genau der richtigen Anzahl vorhanden.
Ihre Artikel über Einrichtung sind genau so liebevoll gestaltet. Meistens überfliege ich die aber nur, weil mich das Thema nur sehr wenig interessiert. Bei uns zu Hause sieht es aus, als würden wir den ganzen Tag kiffen und uns nur zu IKEA verirren, wenn alle Berliner Restaurants geschlossen haben.
Dieser Post der Recipettes über die Gestaltung von Barwagen konnte die drogenpolitik aber überzeugen. Genießt es!

Die Sektgläser im Schrank, der Gin ganz hinten im Vorratskammerl, die bunten Strohhalme verstreut in der Schublade und der Shaker ist immer irgendwie im Weg. Wer diese Situation kennt, hat wahrscheinlich – genauso wie ich – keine Hausbar. Und seien wir ehrlich, irgendwie klingt das auch etwas nach den 70ern. Die stylishe Alternative: Ein Barwagen!…

über How to style: Barwagen — The Recipettes

MESKALIN – Kurzurlaub auf Gottes Standpunkt

Mitteilen möchte ich, was mir letzte Freitag widerfahren ist, denn Du gehörst zu den wenigen, die das verstehen können. Ich bin keiner, der sich immer gut ausdrücken kann, vielleicht klingt manches seltsam. Ich ging durch ein psychedelisches Erlebnis voll Liebe und voll Schrecken. Normalerweise erlebe ich einfach einen Ego-Tod, erreiche einen Seelenzustand, den ich ‚Hyperraum‘ nenne. Aber ich bleibe doch immer Teil innerhalb von Gottes Schöpfung. Aber dieses mal ging ich direkt in Gottes purem Wesen auf. Meine eigene Existenz endete und ich lebte tausend andere Leben, jedes so real, wie das meinige jetzt. Freudvolle und erbärmliche Leben. Ich sah Millionen Existenzen unter einem einzelnen Fingerstreich Gottes zugrunde gehen, während ich gleichzeitig anderen Leben schenkte. Es kümmerte mich nicht, wie ich all ihre Schmerzen spürte, denn das war, wie es sein sollte und immer sein soll. Ich kehrte zurück in mein Leben mit der Perspektive des Schöpfergottes und erkannte meine totale Nutzlosigkeit der eigenen Person und es dauerte eine Weile, bis ich merkte, daß mir alle diese Erkenntnisse in einem einzigen Augenblick gewahr wurden, als ob mein Leben innehielte. Nun erlebte ich mein Leben wieder und wieder, Geburt, Leben, Tod. Immer wieder aufs neue. Und in diesen unzählig vielen Leben erlebte ich diesen Moment der Erkenntnis unzählige Male. Mit oft erschreckendem Ausgang. Oft tötete ich mich selber, genauso oft endete ich in einer Nervenheilanstalt, weil ich den Weg zurück nicht mehr fand, dann wurde ich wieder Gott und inkarnierte als Gott zurück in meine eigene Existenz. Während ich Gott war schwebte ich davon, weit weg und alles überschauend. Dann nahm ich die Schöpfung, drehte und wendete die Dinge, schichtete die Zeiten um und legte sie wieder übereinander, betrachtete die Entwicklung der Dinge. Aber jetzt begann das furchtbarste. Ich entschwebte noch viel weiter weg und sah mich selbst als Gott. Ich wollte aber aus der Singularität und der Unbequemlichkeit der Unendlichkeit, dem Punkt und einer Art Symmetrieachse fliehen, denn all dies bot keinen Raum zum Ruhen, dabei erschuf ich immer mehr fraktale Spiralen, die sich überlappten und auseinander und ineinander wuchsen, während ich mich selbst in einem Raum bewegte, der keiner war. Die Flucht zurück in mein jetziges Leben gelang, ich erschuf alles, einfach, um mich abzulenken. Ich lag im Bett und wusste nicht, wer ich war. Ich erlebt viele Tage und Nächte in wenigen Augenblicken, denn ich erlebte sie nicht, sondern ich erschuf sie. Das war sehr anstrengend, denn die kleinste meiner Bewegungen veränderte das ganze Universum. Ich verfügte über Millionen verschiedener Arten, die Realität zu erfahren. Auf dem mühevollen Weg zurück musste ich mich zusammenraffen und neu formen, um wieder zu meinem richtigen Selbst zu gelangen. Mir wurde die Frage gestellt, ob ich dieses Wissen behalten wolle und bereit wäre, den hohen Preis dafür zu zahlen. Die Erfahrung dauerte 14 Stunden, davon war ich mindestens vier Stunden vollkommen losgelöst von allem. Es war zutiefst erschütternd, man sollte mit sich und seiner Umwelt absolut im Reinen sein, wenn man das überstehen will. Jetzt ist Sonntag und ich kämpfe immer noch dagegen an, nicht aufs neue in diesen Zustand zu verfallen, wo ich Gott so nahe bin.

Diesen Reisebericht überließ uns Daniil zur Veröffentlicheung, wofür wir uns ganz herzlich bedanken. Daniil ist ein ethnobotanisch interessierter Berufsreisender, den wir in einer Reisegruppe bei facebook trafen. Das hier verwendete Transportmittel, Meskalin, ist ja die mythische Traumdroge schlechthin. Spätestens, seit Jim Morrison die Pforten der Wahrnehmung durchschritten hat und sein Musikensemble nach eben dieser Pforte benannte. Wer sich über die wirklich einleuchtende Begründung für die Schöpfung näher informieren will, der lese in der Monadologie von Leibniz über die Einsamkeit der Gottesmonade. Das ist nichts als die Wahrheit, Leibniz hatte echt Ahnung davon, sonst hätte er ja nicht die ganzen Wissenschaftspreise erfinden können. Wer weitere Fragen an Daniil hat, kann ihn über die Redaktion der Drogenpolitik kontaktieren. Wer sich für meskalinhaltigen Tee interessiert, der studiere das fotografische Kochrezept, ebenfalls von Daniil:

 

Stamm

Das Mittel der Wahl war ein Stück San Pedro-Kaktus, Echinopsis pachanoi, vier Feuerzeuglängen scheinen völlig ausreichend zu sein.

Stücke im Topf

Die Kaktusstücke bringe man in ausreichend Wasser zum Kochen…

Grüne Soße

…und lasse das Gebräu auf kleinster Flamme 12 Stunden lang zu einem dicken, grünen Sud einkochen.

Prost

Durch ein Sieb gestrichen kommt ein feiner Smoothie heraus, der allerdings dem Vernehmen nach allen geschmacklichen Gepflogenheiten diametral zuwider läuft. Wohl bekomms.

Anslinger, der erste Drogenkrieger – Buchbesprechung

KaleidoskopischAngeblich kann man ja Bücher rezensieren, die man gar nicht gelesen hat. Heute versuche ich das mal mit einem, das ich jetzt zur Hälfte geschafft habe. Weil die Drogenpolitik ihrem wöchentlichen Rhythmus hinterherhinkt und langsam mal wieder was kommen muss. Aber auch, weil das Buch wirklich gut ist und ich es auf jeden Fall zu Ende lesen werde. Aber schon jetzt gibt es genug, zum Nachdenken.

Alexandra Chasin: Asassin of Youth – A Caleidoscopic History of Harry J. Anslinger’s War on Drugs

Als ich noch von morgens bis abends bekifft war, habe ich mehr und schneller gelesen. Es kann also an mir liegen, daß ich nicht recht voran komme. Aber die Autorin, Alexandra Chasin, benutzt auch eine recht anspruchsvolle Sprache. Das Englisch ist poetisch, verträumt und assoziierend. Oft muß ich im Wörterbuch nachschlagen, weil ich gar nicht glauben kann, daß ich ihre Sätze wirklich richtig verstanden habe. Andere Wörter kamen mir im Leben zum Ersten mal unter. „Bailiwick“ etwa ist kein irischer Slangausdruck für einen Trunkenbold, sondern tatsächlich das Fachwort für „Amtsbezirk“. Ehrlich, ich hab das nachgeschlagen.

Es geht um den Drogenkrieg des Harry Anslinger, den Mann, der praktisch alleinverantwortlich sämtliche heute geltenden Drogenverbote durchgesetzt hat. Eigentlich ein hochspannendes Thema. Die Person Anslinger schien aber leider ein todlangweiliger Bürokrat gewesen zu sein. Die experimentelle Autorin Chasin versucht, sich der Person Anslinger in kaleidoskopischen Bruchstücken zu nähern. Sie macht das in kurzen Kapitel welche für sich angenehme Häppchen sind, die sich erst später zu einem Gesamtbild fügen. Ganz wunderbar gelingt ihr das, wenn sie ein Sittenbild der fortschrittshungrigen amerikanischen Gesellschaft vor und nach Anslingers Geburt 1892 malt.

Weiß noch jemand, worum es bei dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ ging? Charles Bronson redet wenig und erschießt Bösewichter im Staub, drei Stunden lang. Aber warum? Es ging um die Eisenbahn und Grundstücksspekulationen. Chasin setzt danach an, in der kleinen Geburtsstadt Anslingers, Altoona, Pennsylvania. Die hat den Staub und das Elend gebändigt unter Bürgersteigen und gepflasterten Straßen, finanziert von der alles beherrschenden Eisenbahn, bei welcher auch Anslinger sein Berufsleben begann und seine Leidenschaften entdeckte: Statistik, Logistik und Werkschutz.

Als  Ulysses-Fan versucht Chasin natürlich auch in die Gefühlswelt des geborenen Verwaltungsbeamten einzutauchen. Das ist interessant, aber wenig spannend, denn Anslinger scheint eine furchtbar unaufregende Persönlichkeit gewesen zu sein. Natürlich deutschstämmig, sogar zu 100% alemannisch, mit badischer Mutter und Schweizer Vater. Wohl konnte er hervorragend Netzwerken und Kommunikation kontrollieren. Vielleicht ein Grund, weshalb er der Nachwelt wenig persönliche Dokumente hinterließ, dafür umso mehr gleichförmiges Material von seinem Propagandafeldzug gegen das Teufelskraut Marihuana. Der beginnt aber erst nach mehr als der Hälfte des Buches.

War Anslinger also Schuld an den Drogenverboten? Nein, hätte er es nicht getan, hätte es ein anderer gemacht.

Prohibition und Drogenverbote waren ziemlich unausweichlich. Es gab offensichtlich Probleme und es gab die Sehnsucht nach Ordnung und Nüchternheit. Die Beschlüsse wurden schon gefaßt, bevor Anslinger in den amerikanischen Finanzbehörden Karriere machte.  Die Amerikaner kannten Opiate gut und lange, seit dem Bürgerkrieg war die Abhängigkeit als „Soldatenkrankheit“ verbreitet. Die ist übrigens noch heute in der Folklore präsent, anders als bei uns Deutschen, die wir seit Hermann Göring gar nicht mehr gern über die Morphinisten in unserer Verwandtschaft reden.

Die amerikanische Soldatenkrankheit aber grassierte ungehindert 40 Jahre lang und beschränkte sich nicht auf kriegsversehrte Schmerzpatienten, sondern griff um sich wie ein ansteckende Seuche. Herd der Ansteckung war das Mittel selbst, unkontrolliert verteilt von profitorientierten Pharmazeuten, viele Menschen litten darunter. Und die entstehende Großindustrie, auch die allmächtige Eisenbahn, bevorzugte nüchterne Angestellte, denn die arbeiteten produktiver. Die Blaupausen vieler Gesetze zum Drogenverbot waren tatsächlich betriebsinterne Verhaltensvorschriften von Konzernen.

Das faktische Drogenverbot, Alkohol eingeschlossen, erfolgte dann in den USA noch vor dem ersten Weltkrieg, über Lokale Verordnungen, die zu Bundesgesetzen führten. Wohl kritisierten schon damals viele Ärzte, das Drogenproblem mit der Strafjustiz anzugehen, denn es würde viele anständige Menschen zu Verbrechern machen, nur weil sie ein wenig Heroinsüchtig seien.

Anslinger und seine Vorgänger aber konnten besonders gut Horrorgeschichten erzählen, mit Sex und neu erfundenen Verbrechen. Die nahm die Regenbogenpresse begeistert ab. Also verwob er medienwirksam Kriminalität, Drogenchaos und vor allem ausländische Bedrohung und positionierte so seine Drogenbehörde in der Öffentlichkeit. Die Drogenseuchen kamen für ihn nicht etwa aus der Mitte der Gesellschaft, sondern wurden von minderwertigen Ausländern, Chinesen und Mexikanern, eingeschleppt. Als Gegenmittel bot er Importkontrolle und strenge Einwanderungspolitik und traf damit den Nerv der Zeit, bis heute.

Wir lernen, ein Drogenverbot bedeutet eine Menge Verwaltungsaufwand. Die landesweite Durchsetzung in den jungen USA ist dabei Lehrstück eines entstehenden Staates. Das ist interessant, auch und grade für uns aufgeklärte Europäer, die wir versuchen, unseren Kontinent zusammenwachsen zu lassen. Der Staat, der versucht, sich durchzusetzen, muss zunächst Daten erheben und so herausfinden, was er eigentlich will. Dann müssen all die die kleinen, widerstrebenden Mächte überzeugt werden. Und dazu muss man vor allem die richtigen Geschichten erzählen. Und unter den Geschichtenerzählern war Anslinger ein großer, denn niemand erinnert sich an ihn, aber seine Märchen wirken weiter.Cover