Angeblich kann man ja Bücher rezensieren, die man gar nicht gelesen hat. Heute versuche ich das mal mit einem, das ich jetzt zur Hälfte geschafft habe. Weil die Drogenpolitik ihrem wöchentlichen Rhythmus hinterherhinkt und langsam mal wieder was kommen muss. Aber auch, weil das Buch wirklich gut ist und ich es auf jeden Fall zu Ende lesen werde. Aber schon jetzt gibt es genug, zum Nachdenken.
Alexandra Chasin: Asassin of Youth – A Caleidoscopic History of Harry J. Anslinger’s War on Drugs
Als ich noch von morgens bis abends bekifft war, habe ich mehr und schneller gelesen. Es kann also an mir liegen, daß ich nicht recht voran komme. Aber die Autorin, Alexandra Chasin, benutzt auch eine recht anspruchsvolle Sprache. Das Englisch ist poetisch, verträumt und assoziierend. Oft muß ich im Wörterbuch nachschlagen, weil ich gar nicht glauben kann, daß ich ihre Sätze wirklich richtig verstanden habe. Andere Wörter kamen mir im Leben zum Ersten mal unter. „Bailiwick“ etwa ist kein irischer Slangausdruck für einen Trunkenbold, sondern tatsächlich das Fachwort für „Amtsbezirk“. Ehrlich, ich hab das nachgeschlagen.
Es geht um den Drogenkrieg des Harry Anslinger, den Mann, der praktisch alleinverantwortlich sämtliche heute geltenden Drogenverbote durchgesetzt hat. Eigentlich ein hochspannendes Thema. Die Person Anslinger schien aber leider ein todlangweiliger Bürokrat gewesen zu sein. Die experimentelle Autorin Chasin versucht, sich der Person Anslinger in kaleidoskopischen Bruchstücken zu nähern. Sie macht das in kurzen Kapitel welche für sich angenehme Häppchen sind, die sich erst später zu einem Gesamtbild fügen. Ganz wunderbar gelingt ihr das, wenn sie ein Sittenbild der fortschrittshungrigen amerikanischen Gesellschaft vor und nach Anslingers Geburt 1892 malt.
Weiß noch jemand, worum es bei dem Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ ging? Charles Bronson redet wenig und erschießt Bösewichter im Staub, drei Stunden lang. Aber warum? Es ging um die Eisenbahn und Grundstücksspekulationen. Chasin setzt danach an, in der kleinen Geburtsstadt Anslingers, Altoona, Pennsylvania. Die hat den Staub und das Elend gebändigt unter Bürgersteigen und gepflasterten Straßen, finanziert von der alles beherrschenden Eisenbahn, bei welcher auch Anslinger sein Berufsleben begann und seine Leidenschaften entdeckte: Statistik, Logistik und Werkschutz.
Als Ulysses-Fan versucht Chasin natürlich auch in die Gefühlswelt des geborenen Verwaltungsbeamten einzutauchen. Das ist interessant, aber wenig spannend, denn Anslinger scheint eine furchtbar unaufregende Persönlichkeit gewesen zu sein. Natürlich deutschstämmig, sogar zu 100% alemannisch, mit badischer Mutter und Schweizer Vater. Wohl konnte er hervorragend Netzwerken und Kommunikation kontrollieren. Vielleicht ein Grund, weshalb er der Nachwelt wenig persönliche Dokumente hinterließ, dafür umso mehr gleichförmiges Material von seinem Propagandafeldzug gegen das Teufelskraut Marihuana. Der beginnt aber erst nach mehr als der Hälfte des Buches.
War Anslinger also Schuld an den Drogenverboten? Nein, hätte er es nicht getan, hätte es ein anderer gemacht.
Prohibition und Drogenverbote waren ziemlich unausweichlich. Es gab offensichtlich Probleme und es gab die Sehnsucht nach Ordnung und Nüchternheit. Die Beschlüsse wurden schon gefaßt, bevor Anslinger in den amerikanischen Finanzbehörden Karriere machte. Die Amerikaner kannten Opiate gut und lange, seit dem Bürgerkrieg war die Abhängigkeit als „Soldatenkrankheit“ verbreitet. Die ist übrigens noch heute in der Folklore präsent, anders als bei uns Deutschen, die wir seit Hermann Göring gar nicht mehr gern über die Morphinisten in unserer Verwandtschaft reden.
Die amerikanische Soldatenkrankheit aber grassierte ungehindert 40 Jahre lang und beschränkte sich nicht auf kriegsversehrte Schmerzpatienten, sondern griff um sich wie ein ansteckende Seuche. Herd der Ansteckung war das Mittel selbst, unkontrolliert verteilt von profitorientierten Pharmazeuten, viele Menschen litten darunter. Und die entstehende Großindustrie, auch die allmächtige Eisenbahn, bevorzugte nüchterne Angestellte, denn die arbeiteten produktiver. Die Blaupausen vieler Gesetze zum Drogenverbot waren tatsächlich betriebsinterne Verhaltensvorschriften von Konzernen.
Das faktische Drogenverbot, Alkohol eingeschlossen, erfolgte dann in den USA noch vor dem ersten Weltkrieg, über Lokale Verordnungen, die zu Bundesgesetzen führten. Wohl kritisierten schon damals viele Ärzte, das Drogenproblem mit der Strafjustiz anzugehen, denn es würde viele anständige Menschen zu Verbrechern machen, nur weil sie ein wenig Heroinsüchtig seien.
Anslinger und seine Vorgänger aber konnten besonders gut Horrorgeschichten erzählen, mit Sex und neu erfundenen Verbrechen. Die nahm die Regenbogenpresse begeistert ab. Also verwob er medienwirksam Kriminalität, Drogenchaos und vor allem ausländische Bedrohung und positionierte so seine Drogenbehörde in der Öffentlichkeit. Die Drogenseuchen kamen für ihn nicht etwa aus der Mitte der Gesellschaft, sondern wurden von minderwertigen Ausländern, Chinesen und Mexikanern, eingeschleppt. Als Gegenmittel bot er Importkontrolle und strenge Einwanderungspolitik und traf damit den Nerv der Zeit, bis heute.
Wir lernen, ein Drogenverbot bedeutet eine Menge Verwaltungsaufwand. Die landesweite Durchsetzung in den jungen USA ist dabei Lehrstück eines entstehenden Staates. Das ist interessant, auch und grade für uns aufgeklärte Europäer, die wir versuchen, unseren Kontinent zusammenwachsen zu lassen. Der Staat, der versucht, sich durchzusetzen, muss zunächst Daten erheben und so herausfinden, was er eigentlich will. Dann müssen all die die kleinen, widerstrebenden Mächte überzeugt werden. Und dazu muss man vor allem die richtigen Geschichten erzählen. Und unter den Geschichtenerzählern war Anslinger ein großer, denn niemand erinnert sich an ihn, aber seine Märchen wirken weiter.
Am Hanfanbau hatte Henry Ford mit der Entwicklung seines hanfbasierten Autos und deutsch-amerikanische Farmer Interesse. Ansinger, der später auch an der Erforschung von Wahrheitsdrogen durch die CiA beteiligt war, führte mit allen Mitteln den Propagandakrieg von Rockefeller und Hearst, deren Engagement mehr in Erdöl und Holzwirtschaft lagen. Es scheint, soweit meine zusammengeklaubten Internetinformationen stimmen, gar nicht in erster Linie um Drogenkosum zu gehen.
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Ich glaub, es ist noch einen Artikel wert, wenn ich es fertig gelesen hab. Die Frau Chasin stellt es bisher so dar, als seien Anslinger die Drogen relativ egal gewesen. Er wollte hauptsächlich sich und seine Behörde wichtig machen. Das Subsystem strebt immer auch einfach nur nach Selbsterhaltung. Und mit Hearst ergaben sich noch tiefergehende Synergieeffekte, der Verleger war auch an saftigen Geschichten interessiert und Anslinger schätzte den öffentlichen Einfluss der Zeitungen. Warum der Hanf unter die Räder kam, bleibt seltsam. Zumal Anslinger Hasch durch seine Kampagne überhaupt erst bekanntmachte. Seine Vorgänger glaubten wohl wirklich an eine nüchterne Gesellschaft. Und an eine weiße, denn die Konzepte waren ziemlich elitär, rassistisch und fremdenfeindlich. Sie dachten wirklich, die Prohibition sei nur am zu schwachen Staat gescheitert, der sich nicht gegen arme, saufende und schmuggelnde Einwanderer wehren konnte. Anslinger glaubte das auch. Aber wäre er in einer anderen Bundesbehörde gelandet, hätte er genauso gut Straßenbau oder das Schulsystem oder sonst was organisiert.
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Es geht niemals um den Drogenkonsum!
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Du stellst die richtigen Fragen. Ich glaube ja, es geht um Kontrolle. Persönliche und staatliche. Und die sehr unterschiedlichen Auffassungen davon in den verschiedenen Ländern.
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Wir verstehen uns.
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